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Saiäns-Fiktschen

Saiäns-Fiktschen

Titel: Saiäns-Fiktschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Fühmann
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dachte? Der preßte das Zwerchfell gegen den Magen und zwang den Kopf im Nacken hoch, und da er nun in des Professors Gesicht sah, sah er jählings unterm Schädel das Gehirn des Professors, das heißt, er dachte, daß er es sehe, und daß es ein Fisch sei, und nun wand er sich in Peinlichkeit.
    „Ach, nur keine Angst“, sagte der Professor, „wenn man nichts zu fürchten hat, hat man nichts zu fürchten.“ — Warum sagt der das? durchschoß es Janno. — Er — wie war doch gleich der Name, Janno, ja? —, also er, Janno, habe doch nichts zu fürchten? — Warum fragte er das? „Jawohl!“ sagte Janno, und nun war es der Professor, der lächelte, ja sogar lachte.
    Janno sah wieder in die Pfütze, sein Gesicht war so trostlos wie rings der Beton. — Fischgeruch; Lachen; graue Wände. — Der künftige Studiosus, erklärte der Professor, könne ja wirklich noch nicht wissen, daß sein „Jawohl!“ doppeldeutig sei, je nachdem, worauf man es beziehe, auf den Term „fürchten“ oder den Term „nicht“; man könne seiner Antwort also durchaus entnehmen, er habe sehr wohl etwas zu fürchten! — Janno sah, daß auch der Himmel Beton war. — ja, ja, die Bejahung, sagte der Professor, schallend lachend, die Bejahung habe ihre Tücken, sie müsse als erstes gemeistert werden, das werde die Logik den Studiosus schon lehren, vorausgesetzt natürlich, daß es Freitag klappe, aber daran sei ja nicht zu zweifeln! — Er ging dem Haus zu, und Janno blieb stehen; der Professor war in die Pfütze getreten, und das tote Insekt schwappte auf den Beton. — Jannos Übelkeit wurde unerträglich. Er sehnte sich nach einem Schnaps, allein als Uniterrs braver Jungbürger hatte er keinen Vorrat an Spirituosen zu Hause, und so früh wurde kein Alkohol ausgeschenkt.
    Es war der Morgen, volle Zeit der Arbeit; Janno stand allein auf dem Boden der Schlucht zwischen den ragenden grauen Klötzen, und es war ihm, als stehe er zum ersten Mal so, verloren in der unendlichen Enge; und plötzlich, und das Lächerliche dieses Treibens wohl spürend, doch aus einem unbegreiflichen Zwang, bückte, wieder gewürgt, er sich trotz seiner Schmerzen, das Insekt vom Beton aufzuheben; doch da er es eben berühren wollte, kam ihm der bestürzende Gedanke, daß jemand, gar der Professor, ihn beobachten könne, und so tat Janno, als richte er seine Schuhe. Er zerrte an ihrem Verschluß herum und spähte dabei verstohlen zum Tor, hinter dem der Professor verschwunden; die Drehwand, grau im Grau, war geschlossen; es war lächerlich, sie anzustarren, ihr Material, wie auch das der Fensterscheiben, gestattete ja nur Blicke von innen nach außen, und ein Gerät gegenläufigen Durchblicks war als unmoralisch streng verboten, das besaßen nur die Kameraden Volksschützer, und wahrscheinlich auch nur besondere Ränge. — Ob sie auch ein Gerät hatten, eine feste Wand zu durchschauen? — Gewiß; und Janno dachte sofort: Warum nicht? Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu verbergen! — Das Insekt lag am Pfützenrand, ein grauer Strich, kaum merkbar gekerbt, und schräg abgespreizt sechs hauchdünne Strichlein; wer es nicht in der Pfütze hatte schwimmen sehen, könnte es hier auf dem Trocknen gar nicht entdecken. — Warum hatte er sich nach ihm gebückt? Es lohnte nicht, es aufzuheben; es gab zwar im Betonbiotop wenig mehr als zwei Dutzend Insektenarten, darunter mehr als ein Dutzend im Aussterben begriffne, doch diese Art war durchaus gewöhnlich. Wie lange wollte er noch so hocken? Was hatte er hier überhaupt gewollt?
    Ach ja, ein Morgenspaziergang.
    Ach ja, ein Schnaps.
    Da Janno, noch immer mit Schmerzen, sich mühselig aufrichtete, dachte er an das nahe Restaurant, in dem er fast Stammgastrechte besaß: vielleicht ließ ein Kellner mit sich reden; und kaum daß dieser Gedanke gedacht war, verringerte sich auch die Übelkeit, und zwar in so erfreulicher Weise, daß Janno das Restaurant nicht mehr brauchte. Er konnte sich wieder etwas straffen; auch kam ihm die Melodie in den Sinn, die er schon beim Aufstehn geträllert, und so ging er, ohne auf das Insekt noch zu achten, fast entspannt seine Runde vor den Fassaden, betrat sein Haus und konnte nicht widerstehen, einen Blick durch die Tür auf den Platz zu werfen. Er lag leer; und Janno stellte sich vor, daß da, mitten zur Arbeitszeit, einer am Boden hocke und ein totes Insekt betrachte, und er wandte sich hastig ab. — Auch der Hausflur war leer. Janno stieg, da der Aufwärtstransporter noch

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