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Saiäns-Fiktschen

Saiäns-Fiktschen

Titel: Saiäns-Fiktschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Fühmann
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Barschaft zusammen, und da war es halt endgültig geschehn.
    Allmählich vergaß er das Duell und die Jeanne Viole. Das Trinken blieb; er brach nicht mehr aus, doch er erfand auch den Reißverschluß nicht mehr. Streng — das heißt im Sinne des Produzierens — genommen, erfand Pavlo überhaupt nichts mehr; er träumte nur noch vom Erfinden und erfand also träumend die wahnsinnigsten Dinge, und träumte nachts seine beiden Träume, sehr oft den einen mit der Baugrube, und manchmal auch noch den peinlichen, und so wollen wir ihn denn doch erzählen: Pavlo geht am Saum des Meeres und sieht im Schaum eine Qualle treiben, die ihn wie ein lidloses Auge anblickt, und er schaut sich um, ob er allein ist, dann steigt er ins Meer, die Qualle zu fangen, und da er die Hand nach ihr ausstrecken will —
    aber nein; wir brechen doch hier ab.

BEWUSSTSEINS­ERHEBUNG
    Als Janno, nach ruhmvollem Mittelschulabschluß, sich um einen Studienplatz für eine der Philosophiedisziplinen an Uniterrs Hochschulen bewarb, wurde ihm als erstes laut Gesetz Nr. 7 ein Termin für eine Prüfung gegeben, deren erfolgreicher Abschluß unerläßlich für jeden Eintritt in die höhere Führung, also auch für eine Immatrikulierung war. Diese Prüfung nicht so sehr der Kenntnisse als der Gesinnung hieß offiziell „Statistische Erhebung über einige ausgewählte Parameter des Bewußtseinsstandes einiger Bevölkerungsgruppen des Wahrhaft Freien Staates Uniterr“, abgekürzt einfach „Bewußtseinserhebung“, und vulgär „Gedankenlesen“, und Janno wusch sich die drei Wochen bis dahin dreimal täglich sorgfältig den Kopf, vor allem die ein wenig tütenförmig gedrehten und in ihrer ausgeprägten Zerklüftung besonders schmutzanfälligen Ohren.
    Der Zustand seiner Gesinnung machte ihm keine Sorgen. Im Fach Staatsbewußtseinsertüchtigung stets der Beste, wußte er von seinem Vaterland, daß es das stärkste und mächtigste Land der Welt war, unbesiegbar, unverwundbar, unangreifbar und eben darum in besonderem Maße eines außerordentlichen Militärschutzes bedürftig. Libroterrs Übermacht jederzeit mit einem Verteidigungsangriff entgegenzutreten und es notfalls auch vernichten zu können, was in historisch tief begründeter Weise im wahren Interesse Libroterrs selbst lag, dessen Volk im drückenden Sklavenelend zügelloser Anarchie dahinzusiechen gezwungen war, ganz im Gegensatz zu Uniterr, wo, dank wohltuend unhohem Lebensniveau und ordnungserhaltendem Mangel an jener Unfriedensquelle, die man „persönliche Rechte“ nennt, das Volk in zufriedner Geborgenheit lebte. Das alles wußte Janno gut und genau, denn das alles war die Summe dessen, was ein Bürger Uniterrs wissen muß, um würdig für Uniterrs Höhere Dienste zu sein.
    Daß Janno dessen würdig war, zeigte sich nicht zuletzt auch darin, daß er nie auf den Gedanken kam, einen Studenten, der sie hinter sich hatte, nach Details der Bewußtseinserhebung zu fragen. Es war ihm klar, daß hier ein Geheimvorgang vorlag, über den man keine Erkundigung einzog, auch wenn er Millionen betraf. Schmerzhaft würde er wohl nicht sein und besonders strapazierend wohl auch nicht, wenn man ein reines Bewußtsein hatte, und Janno hatte ein reines Bewußtsein. Sein tägliches Kopfwaschen galt dem Äußeren, insbesondere den Ohren. Daß er dennoch immer aufgeregter wurde, je näher der Prüfungstermin herankam, hielt er durch zweieinhalb Wochen nur für natürlich. Dann aber traf ihn ein Ärgernis.
    Am dritten Morgen vor der Bewußtseinserhebung, in der Dämmerung des Erinnerns zwischen geistigem und leiblichem Erwachen, wußte er plötzlich im wohligsten Sichrekeln, daß er bei der Prüfung versagen werde, und wiewohl er diesem Wissen sofort widersprach, blieb es als ein stumpfer Stachel, bedrückend von der Art Unbehagen, das, je mehr man trachtet, es unterzukriegen, um so beharrlicher zeigt, daß es nur Bote von etwas Kommendem ist, in dessen Ahnen man jetzt schon schaudert; ein höchst fataler Zustand, so wie ein Anflug einer Krankheit, die, mit leisen Belästigungen — Schnupfen, ein wenig Benommensein, ein bißchen Temperatur — anhebend, doch schon wissen läßt, daß diesen harmlosen Symptomen erheblich schlimmere Übel folgen. Einen Schnupfen bekommt man leicht, und jedermann kennt vor seiner Prüfung die Zwangsidee zu versagen; doch etwas andres als eine simple Erkältung ist ein Schnupfen als Verkünder von Grippe, und etwas andres als Lampenfieber ist jene Angst, durch die man fühlt, daß

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