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Saiäns-Fiktschen

Saiäns-Fiktschen

Titel: Saiäns-Fiktschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Fühmann
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nun, Janno, selbst? War er der rechte, oder war er der falsche? Aber es konnte doch nur ein Denken geben, das Denken war ans Hirn gebunden, und Janno hatte doch keine zwei Hirne, da er doch keine zwei Köpfe trug. — Aber vielleicht war unter dem einen Schädel sein Hirn in zwei Hirne geteilt? — Nun griff Janno sich tatsächlich an den Kopf, abtastend, mit gespreizten Fingern, und da endlich rief er sich zur Ordnung. Welch ein Unsinn, den er da aus sich herausspann, er war einfach nicht ausgeschlafen, das waren ja alles Hirngespinste, Reste eines wirren Traumes, Nachwirkungen des ungewohnten Schnapses! Schluß damit, und gearbeitet!
    Janno duschte eiskalt und harrte aus, bis ihm die Dusche aus der klammen Hand fiel, und begann dabei nüchtern zu rekonstruieren, was eigentlich geschehen war. — Genau besehen war es lächerlich: Ihm war gestern der dumme Gedanke gekommen, daß er bei der Prüfung versagen werde, das hatte ihn so aufgeregt, daß er deshalb Magenschmerzen bekommen — ja, das war’s, und dann war ihm noch eine Melodie eingefallen, die er einfach nicht mehr abschütteln konnte (übrigens: jetzt war sie verschwunden!), und dies beides, Magenschmerzen und Singsang, hatte ihn vom Studium abgelenkt. Das war alles, und war nichts als Aufgeregtheit, und die überwand man am besten durch Ruhe und Fleiß. — Alles in Ordnung, alles klar.
    Er setzte sich wieder ans Arbeitsbrett: Schwarz dein Haar deine Lippen so rot! Die Melodie schwoll jählings herauf, um Janno im Nu völlig zu beherrschen. Er war nun gänzlich außerstande, auch nur einen der Sätze aufzunehmen, die sich ihm auf dem Leseschirm darboten, Sätze über das Verhältnis von falsch und richtig, wichtige Sätze, richtige Sätze, die er gestern noch im Schlaf hätte hersagen können und die er jetzt, Buchstaben um Buchstaben, wie fremde Fabelwesen anstarrte, und plötzlich dachte Janno entgeistert, daß er beim Gedankenlesen nichts als diesen Refrain würde hervorbringen können: Schwarz dein Haar deine Lippen so rot. — O Materie, das Gedankenlesen war doch schon morgen! — Soso, also nur Schlager haben Sie im Kopf? — War morgen denn schon Freitag? Dann mußte heute ja Donnerstag sein. — Und so etwas will in den Höheren Dienst! — War heute Donnerstag? Dann war morgen ja Freitag! — ja, morgen mußte Freitag sein, denn das Gedankenlesen war ja schon morgen! — Rot dein Haar deine Lippen so schwarz — Jannos Denken lief im Kreise, und so fiel es ihm nicht auf, daß er statt „Bewußtseinserhebung“ den verleumderischen (und zudem auch obszönen) Ausdruck „Gedankenlesen“ verwendet hatte, ein Wort aus dem Vokabular von Agenten, das er, der künftige Staatsamtsträger, sich entrüstet bei jedem Gesprächspartner verbeten.
    Es konnte nicht mehr so weitergehen.
    Janno knipste das Lesegerät aus, saß eine Weile dumpf unter der Pritsche, fühlte den Druck im Magen wachsen, und da kam es ihm in den Sinn, es wäre eigentlich doch nur natürlich, jemand, der bereits ein Gedank-, also eine Bewußtseinserhebung hinter sich gebracht hatte, irgendeinen der Kameraden Studenten, um nähere Unterrichtung zu bitten. Aber wen? Zwar wohnten im Hochhaus viele Studenten, es war ja hauptsächlich für die Universität errichtet, doch Janno kannte keinen so gut, daß er ihn solch Vertrauliches hätte fragen wollen.
    Und wenn er den Professor fragte?
    Natürlich, das war es, den Professor! Janno fand diesen Gedanken durchaus nicht mehr abwegig. Warum denn nicht den Kameraden Professor? Hatte der ihm nicht sein Wohlwollen bewiesen, da er sich nach dem Termin der Prüfung erkundigt, ja hatte er sich durch diese Frage nicht eigentlich als eine Art Mentor empfohlen; hatte er nicht geradezu darauf gewartet, daß der Prüfling sich ihm anvertraue? Nur so war sein hartnäckiges Fragen erklärbar, in diesem Angebot lag der Sinn! Und da war der Janno schon aus seiner Wohnung; und da war der Janno schon an der Tür des Professors, doch da er eben läuten wollte, besann er sich, daß zur Bewußtseinserhebung ja auch ein Test gehören könne, ob er mit der Ruhe reinen Bewußtseins dem Kommenden entgegensah. Er drückte also nicht auf die Klingel, da fiel ihm ein, daß er beim Verlassen seiner Wohnung als nächsten Aufenthaltsort die Wohnung des Professors eingegeben hatte. Zwar waren all diese Routineeingaben in ihrer Fülle gewißlich nicht kontrollierbar, doch vielleicht würde gerade diese überprüft, eine Stichprobe, es konnte ja sein. — Natürlich würde

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