Sailer und Schatz 01 - Das ist mein Blut
nehmen?«
»Noch nicht«, antwortete Eva. »Der läuft uns nicht weg, und vielleicht finden wir noch mehr heraus, eh wir ihn uns noch mal vorknöpfen.« Sie hatte aus dem Fenster geschaut, um ihre Gedanken zu sammeln, und dabei müßig zwei Kindern zugesehen, die ihre Schultaschen abgelegt hatten und jetzt gemeinsam auf einer niedrigen Mauer saßen, die Köpfe zusammengesteckt, offensichtlich in ein höchst interessantes Gespräch vertieft. »Sag mal«, wandte sie sich plötzlich wieder an Rainer. »Die Pfingstferien fangen doch erst morgen an. Warum macht Klara Weiß dann mit ihrer Tochter hier Urlaub? Sollte die nicht in der Schule sein?«
Ihr Kollege machte sich eine Notiz auf einen seiner vielen verstreuten Zettel. »Schau ich nach«, versprach er. Dann beugten sie sich wieder über die Liste. Sie beschlossen, die Nummern, die Kronauer auch im Telefonbuch seines Handys gespeichert hatte, selbst zu überprüfen und sich mit den Leuten in Verbindung zu setzen, die Kontrolle der unbekannten Anrufer aber Friedolin erledigen zu lassen.
Die Einträge in Kronauers Telefonspeicher spiegelten die Persönlichkeit des Toten, nach dem, was sie bisher über ihn erfahren hatten, ziemlich genau wieder – ein buntes Durcheinander von Professionalität und wildem Humor. Die Nummern mehrerer Zeitungsleute waren mit vollem Namen, teilweise sogar mit Rubriken versehen, Kronauers Hausarzt war nüchtern und korrekt unter »Dr. H. Meyerbeer« verzeichnet, sein Zahnarzt hingegen unter »Au Backenzahn!«. Otto Glaubnitz’ Festnetznummer war unter seinem vollen Namen gespeichert, seine Handynummer unter »Ottochen«. Rainer schien großen Spaß daran zu haben, die absurdesten Einträge zu finden, aber Eva konnte dem Spiel nichts abgewinnen. »Baarer-Weiher, Elisabeth«, sagte sie, nachdem sie die Nummern auf der Anrufliste mit denen im Telefonspeicher abgeglichen hatten. »Fangen wir mit der an, Kronauer hat sie am Freitag angerufen, und dann noch einmal am Montag.«
Rainer griff nach dem schnurlosen Telefon und tippte die Nummer ein, die Eva ihm hinhielt. Während er den Tastentönen lauschte und dann zählte, wie oft es klingelte – einmal, zweimal, dreimal, viermal –, hörte er seine Kollegin weiter murmeln. »Klara … Sonntag … Eltern, Freitagabend …«
Nach dem vierten Klingeln ertönte eine angenehme, kultivierte Frauenstimme vom Band: »Anschluss von Elisabeth Baarer-Weiher. Leider bin ich augenblicklich nicht erreichbar, ich rufe zurück, wenn Sie eine Nachricht hinterlassen möchten.« Rainer blickte Eva fragend an. »AB«, murmelte er. Sie winkte ab, und er legte auf, ohne etwas aufzusprechen. »Versuchen wir die später noch mal«, meinte sie. »Oder haben wir eine Handynummer?«
Rainer hob ratlos die Schultern. »Wer weiß das schon bei Kronauers Einträgen? Vielleicht versteckt sie sich hinter dem mysteriösen ›Tanzbein‹? Obwohl, so hat sie eigentlich nicht geklungen. Ich werde mich mal hinter den Bildschirm klemmen und versuchen, ein paar Dinge herauszufinden, wenn du mich gerade nicht anderweitig brauchst.« Und er begann, den Wust auf seinem Schreibtisch nach den Zettelfetzen zu durchsuchen, auf denen er seine Gedankenstützen notierte. »2 do – Lauch kaufen, Klempner«, murmelte er verwundert mit Blick auf ein Stück Papier in der Hand. »Wie kommt das denn hierher?«
Eva ließ ihn allein, übergab Friedolin die Telefonliste, damit der herausfand, mit wem Kronauer in den Tagen vor seinem Tod sonst noch telefoniert hatte, und ließ sich von den übrigen Beamten auf den neuesten Stand bringen. Dort erwartete sie neben einer Reihe einzelner Fakten, deren Nutzen zu diesem Zeitpunkt nicht abzusehen war, eine kleine Sensation.
Mehrere Leute waren damit beschäftigt gewesen, den Tatort und die Umgebung genauestens abzusuchen, die Anwohner der Häuserreihe jenseits des brachliegenden Feldes zu befragen und alles zu tun, um mögliche Zeugen zu finden. Von den Bewohnern war erwartungsgemäß wenig zu erfahren gewesen, obwohl sich einige darüber beschwert hatten, dass Banden von Jugendlichen in den Ruinen zuweilen Feuer machten und rauschende Partys feierten, deren Lärm man bis zu den Häusern hören konnte. Am Dienstagabend war aber kein Lärm gewesen, und niemandem in den Häusern war etwas aufgefallen. »Okay, eine alte Dame hat erzählt, sie hätte gegen Mitternacht bei der Ruine ein Licht gesehen, als sie sich etwas zu trinken holte«, räumte eine jüngere Beamtin ein. »Vielleicht ist es ja wahr,
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