Salambo
Spendius war klein.
Eines Abends, als sie zusammen durch die Lagergassen gingen, erblickten sie Männer in weißen Mänteln; unter ihnen Naravas, den numidischen Fürsten.
Matho erbebte. „Gib mir dein Schwert!“ rief er. „Ich will ihn töten!“
„Noch nicht!“ bat Spendius und hielt ihn zurück.
Naravas trat bereits an Matho heran. Er küsste seine beiden Daumen zum Zeichen seiner kameradschaftlichen Gesinnung und entschuldigte seinen damaligen Zorn mit der trunkenen Feststimmung. Sodann sagte er allerhand Feindseliges gegen Karthago, doch verriet er nicht, was ihn eigentlich zu den Barbaren geführt hatte.
„Will er uns verraten oder die Republik?“ fragte sich Spendius. Da er aber aus allem Bösen Vorteil zu ziehen gedachte, war ihm jede zukünftige Verräterei des Naravas angenehm.
Der numidische Häuptling blieb bei den Söldnern. Er schien sich mit Matho befreunden zu wollen, sandte ihm gemästete Ziegen, Goldstaub und Straußenfedern. Der Libyer, über diese Aufmerksamkeiten erstaunt, schwankte, ob er sie erwidern oder darüber in Zorn geraten sollte. Doch Spendius besänftigte ihn, und Matho ließ sich von dem Sklaven leiten. Er war ein Mensch, der nie wusste, was er wollte, und jetzt zumal in einem Zustande unbezwinglicher Teilnahmslosigkeit wie jemand, der einen Trank genommen hat, an dem er sterben muss.
Eines Morgens, als alle drei zur Löwenjagd aufbrachen, verbarg Naravas einen Dolch in seinem Mantel. Spendius blieb ihm beständig auf den Fersen, und sie kehrten zurück, ohne dass der Numidier seinen Dolch gezückt hatte.
Ein andermal lockte Naravas die beiden weit fort, bis an die Grenzen seines Reiches. Sie kamen in eine enge Schlucht. Da erklärte Naravas lächelnd, er kenne den Weg nicht mehr. Spendius fand ihn wieder.
Meistens jedoch brach Matho, tiefsinnig wie ein Augur, schon bei Sonnenaufgang auf, um in der Gegend umherzustreifen. Er streckte sich auf den Sand hin und blieb bis zum Abend unbeweglich liegen.
Er befragte nacheinander alle Wahrsager des Heeres: die den Lauf der Schlangen beobachteten, die in den Sternen lasen und die auf die Asche der Toten bliesen. Er nahm Galbanum, Heilwurz und Viperngift ein. Negerweiber, die im Mondschein barbarische Lieder sangen, ritzten ihm die Stirnhaut mit goldenen Dolchen. Er behängte sich mit Halsbändern und Amuletten. Abwechselnd rief er Khamon, Moloch, die sieben Kabiren, Tanit und die Aphrodite der Griechen an. Er grub einen Namen in eine Kupferplatte und verscharrte sie im Sand an der Schwelle seines Zeltes.
Spendius hörte ihn seufzen und mit sich selbst reden. Eines Nachts trat er in sein Zelt.
Matho lag auf einer Löwenhaut hingestreckt, nackt wie ein Leichnam, das Gesicht in beide Hände vergraben. Eine Hängelampe beleuchtete seine Waffen, die am Zeltmast hingen.
„Hast du Schmerzen?“ fragte der Sklave. „Was fehlt dir? Antworte mir!“ Dabei schüttelte er ihn an der Schulter und rief immer wieder: „Herr, Herr!“ Endlich schaute Matho mit großen verstörten Augen zu ihm auf.
„Weißt du?“ flüsterte er, einen Finger auf die Lippen legend. „Es ist die Rache der Götter. Hamilkars Tochter verfolgt mich! Ich fürchte mich vor ihr, Spendius!“ Er drückte die Fäuste gegen die Augen, wie ein Kind, dem es vor einem Gespenst graust. „Rede mit mir! Ich bin krank! Ich will gesund werden! Alles habe ich versucht! Doch du, du kennst vielleicht mächtigere Götter oder irgendeine Beschwörung, die wirklich hilft.“
„Wogegen?“ fragte Spendius.
Matho schlug sich mit beiden Fäusten gegen die Stirn. „Um mich aus Salambos Bann zu erlösen!“ Und wie zu sich selber sagte er in abgebrochenen Sätzen:
„Gewiss bin ich das Opfer einer Sühne, die sie den Göttern gelobt hat ... Sie hält mich gefesselt ... mit einer unsichtbaren Kette ... Gehe ich, so schreitet sie voran ... bleibe ich stehen, so verweilt sie ... Ihre Augen verzehren mich ... ich höre ihre Stimme ... sie umgibt mich und durchdringt mich ... Mir ist, als ob sie meine Seele geworden sei ... Und doch droht etwas zwischen uns wie die unsichtbaren Fluten eines grenzenlosen Meeres ... Sie ist mir fern und ganz unerreichbar ... Der Schimmer ihrer Schönheit umfließt sie mit Strömen von Licht, und manchmal ist mir's, als hätte ich sie nie gesehen ... als sei alles nur ein Traum! ...“
So durchjammerte Matho die Nacht.
Alles schlief. Spendius betrachtete ihn, und er erinnerte sich an jene Jünglinge, die ihn ehemals mit goldenen Gefäßen in den
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