Salambo
An jedem ein Löwe. Manche waren schon so lange tot, dass nur noch die Reste ihrer Gerippe am Holz hingen: andere, zur Hälfte zernagt, verzerrten den Rachen zu furchtbaren Grimassen. Etliche waren ungeheuer groß. Die Stämme der Kreuze bogen sich unter ihnen. Sie schaukelten im Winde, während Rabenschwärme unablässig über ihren Köpfen kreisten. So rächten sich die karthagischen Bauern an den Raubtieren, die sie fingen. Sie hofften, die anderen durch dieses Beispiel zu schrecken. Die Barbaren lachten nicht mehr. Tiefes Staunen ergriff sie. „Welch ein Volk“, dachten sie, „das zu seinem Vergnügen Löwen kreuzigt!“
Übrigens waren sie, besonders die Nordländer, eigentümlich nervös erregt und halb krank. Ihre Hände waren wund von den Stacheln der Aloe. Große Stechmücken summten ihnen um die Ohren. Die Ruhr brach im Heer aus. Man war verdrossen, dass Sikka noch immer nicht sichtbar wurde. Man bekam Angst, sich in die Wüste zu verirren, in die Regionen des Sandes und des Schreckens. Viele wollten nicht mehr weiter marschieren. Ein Teil machte sich auf den Rückweg nach Karthago.
Endlich am siebten Tage, nachdem man lange am Fuße eines Berges hingewandert war, bog der Weg plötzlich scharf nach rechts ab, und ein Mauerstreifen, auf weißen Felsen ruhend und gleichsam eins geworden mit ihnen, tauchte auf. Alsbald grüßte die ganze Stadt. Blaue, gelbe, weiße Schleier wehten im Abendrot über den Mauern. Es waren die Priesterinnen der Tanit, 3 die zum Empfange der Söldner herbeigeeilt kamen. Sie standen in langen Reihen auf dem Wall, schlugen Handtrommeln und Zithern und Kastagnetten. Die letzten Strahlen der Sonne, die hinter den numidischen Bergen versank, spielten an den Harfensaiten und den nackten Armen. Von Zeit zu Zeit schwiegen die Instrumente plötzlich, und ein schriller, grausiger, wilder, langgezogener Schrei erklang, eine Art Geheul, das durch eine vibrierende Zungenbewegung hervorgebracht wurde. Etliche der Priesterinnen lagen mit aufgestützten Ellbogen, das Kinn in der Hand, unbeweglicher als Sphinxe, und starrten aus großen schwarzen Augen das herannahende Heer an.
Obgleich Sikka ein Wallfahrtsort war, vermochte es eine solche Menschenmenge nicht zu beherbergen. Der Tempel allein mit seinen Nebengebäuden nahm die Hälfte der Stadt ein. Die Barbaren lagerten sich daher ganz nach Belieben in der Ebene, die Disziplinierten in regelmäßigen Abteilungen, die anderen nach Völkern oder wie es ihnen gerade einfiel.
Die Griechen schlugen ihre Zelte aus Fellen in gleichlaufenden Reihen auf. Die Iberer bauten ihre Leinendächer im Kreise. Die Gallier errichteten sich Bretterbuden, die Libyer Hütten aus Steinhaufen, und die Neger scharrten sich mit ihren Nägeln Gruben in den Sand, worin sie schliefen. Viele, die sich nicht unterzubringen wussten, trieben sich zwischen den Packwagen umher und verbrachten in ihren zerschlissenen Mänteln die Nächte auf dem Erdboden.
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Die Ebene dehnte sich im weiten Kreis, rings von Bergzügen begrenzt. Hier und dort neigte sich ein Palmbaum über einen Sandhügel. Fichten und Eichen sprenkelten die Abhänge mit grünen Flecken. Bisweilen ging ein Gewitterregen vom Himmel herab, der blau und klar über der Landschaft lachte. Dann wirbelte ein warmer Wind Staubwolken auf, und ein Gießbach stürzte in Kaskaden von Sikkas Felsenhöhe herab, auf der sich der Tempel der karthagischen Venus, der Herrin des Landes, mit seinen ehernen Säulen und seinem goldenen Dach erhob. Sie erfüllte die Landschaft mit ihrer Seele. Das Übermaß ihrer Kraft offenbarte sich in den Erschütterungen des Bodens, im jähen Wechsel von Wärme und Kälte, und die Schönheit ihres ewigen Lächelns im Spiel der Beleuchtung. Die Berggipfel hatten die Form von Mondsicheln, oder sie glichen vollen Frauenbrüsten. Die Barbaren verspürten vor dieser Augenweide bei aller Ermüdung durch den Marsch ein wonnevolles Wohlgefühl.
Spendius hatte sich für den Erlös seines Kamels einen Sklaven gekauft. Den ganzen Tag lang schlief er, vor Mathos Zelt ausgestreckt. Oft schreckte er empor. Er glaubte im Traum das Sausen der Peitsche zu hören. Dann strich er lächelnd mit der Hand über die Narben an seinen Beinen, an den Stellen, wo so lange die Eisen gedrückt hatten, und schlief wieder ein.
Matho duldete seine Gesellschaft. Wenn er ausging, begleitete ihn Spendius wie ein Trabant, mit einem langen Schwert an der Seite; oder Matho stützte nachlässig den Arm auf seine Schulter, denn
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