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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoite Groult
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sich nicht viel. Das ist vielleicht ein Fehler, aber so ist es eben.«
Gauvain blickte in die Ferne, und seine beiden Hände lagen wie nutzlose Gegenstände auf dem Marmortischchen, so reglos, daß sie an zwei überdimensionale Taschenkrebse erinnerten. »So ist es eben«, wiederholte er in einem Ton, aus dem ich eine Spur Bedauern oder gar Sehnsucht herauszuhören glaubte. Wie dem auch sei, ich ging schon immer an die Decke, wenn jemand sagte: So ist es eben! »Was heißt das: ›So ist es eben‹? Du nimmst es so hin! Das ist Resignation, nichts anderes. An das Schicksal glaube ich nicht, das bastelt man sich im nachhinein selbst zusammen.«
Gauvains Gesicht wurde verschlossen. Er konnte es nicht ertragen, wenn jemand das negierte, was er als ein Naturgesetz betrachtete.
»Bevor wir wieder auseinandergehen…«, fuhr ich lächelnd fort, »bevor wir uns streiten… ich wollte dich schon immer etwas fragen. Jetzt, wo die Jahre vergangen sind, kannst du es mir sagen, Lozerech: Was hältst du von unserer Begegnung? War es ein Mißerfolg? Eine Dummheit? Oder ist es eine Erinnerung, die dir lieb und teuer ist?«
»Es ist all das zugleich«, gestand Gauvain. »Es gab eine Zeit, da wär's mir lieber gewesen, ich wär' dir nie begegnet. Aber das ist vorbei. Seither habe ich oft nach dir gefragt, weißt du, wenn ich nach Raguenès zurückkam. Aber ich konnte dir kein Zeichen geben. Ich hab' mich nicht getraut, und außerdem… was hätt' ich dir auch sagen sollen?«
Wir tranken unseren zweiten Pastis aus. Gauvain trank nie Whisky oder Gin, und ich hatte das Kulturgefälle zwischen uns nicht betonen wollen, indem ich ein Schickeriagetränk wählte.
»Nun, stell dir vor, auch ich habe nie vergessen. Es ist, als ob ich seit der Begegnung mit dir etwas im Leben verloren hätte… aber etwas, was ich sonst nie gefunden hätte. Nur erahnt. Komisch, nicht wahr?«
»Heute bist du sanft wie die erste Frau, doch die Nächte sind kalt wie die Nacht«, rezitierte Gauvain. »Siehst du, ich erinnere mich an dein Gedicht. Ich habe es auswendig gelernt.«
Ich habe meine Hand auf seinen Arm gelegt, der niemals nackt zu sein schien wegen der dichten, rotbraunen Haare. Ob seine Haut wohl noch immer nach Weizen roch?›
»Ich würde… ich weiß nicht was dafür geben, wenn ich dich in die Arme nehmen könnte, jetzt, hier«, sagte er mit heiserer Stimme, und obwohl bis zu diesem Augenblick alles betont ruhig verlaufen war, traf mich dieser Satz zwischen den Beinen, ehe er in mir hochstieg bis hin zum Herzen. Wir waren soeben in die Turbulenzenzone geraten. Ich schaute ihm nicht mehr in die Augen, sondern auf den Mund, ein Vorzeichen der Kapitulation. Aber Gauvain hielt den Wogen stand. Noch glaubte er, heil davonzukommen. »Also, jetzt muß ich gehen, es wird Zeit«, sagte er und schaute dabei auf seine Uhr, die er verkehrt herum trug, das Zifferblatt unter dem Gelenk, um sie besser zu schützen.
»Das hast du mir schon dreimal gesagt«, brach es aus mir heraus. »Jedesmal, wenn du mich verläßt, ›mußt du gehen‹. Was heißt das denn? Wohin willst du gehen? In die Entsagung? Zurück in die Routine?«
»Scheiße! Was kann man denn, verdammt noch mal, anderes tun?« schrie Gauvain.
»Was weiß ich? Aus dem üblichen Trott ausbrechen! Wir sind doch kein Vieh, das zum Schlachthof geführt wird! Du bist mittlerweile die ganze Zeit im Ausland, wir könnten uns doch irgendwo treffen, oder?«
Er sah mich an, gelinde verblüfft über den Verlauf, den unser Gespräch nahm. »Du hast dich verändert, Va Karedig.«
»Vielleicht liegt es an Amerika. Dort belastet man sich nicht mit Wohlanständigkeit, weißt du, man schießt schnurstracks aufs Ziel los. Vor allem die Frauen. Tut es dir leid?«
»Ich weiß nicht, ob es mir leid tut, aber ich weiß, worauf ich Lust habe, sei's drum«, sagte Gauvain sehr gelassen.
Er stand auf, zahlte unsere Rechnung, zog mich ein wenig abseits der grellen Neonröhren und preßte mich an sich ‒ es sei denn, ich habe mich an ihn gepreßt, ich weiß es nicht mehr. Trotz der Jahre, die inzwischen vergangen waren, habe ich seine tiefe Art zu küssen wiedererkannt, und auch die abgebrochene Ecke seines Schneidezahns und seine sanfte Zunge, die er kaum in mir bewegte, auf daß unsere Gifte sich besser miteinander vermischten.
Als wir uns trennten, sahen wir uns dankbar an: Bewahrte jeder von uns tatsächlich noch über den andern jene unendliche und zerbrechliche Macht? Bot uns das Leben tatsächlich noch dieses Geschenk?

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