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Der Toeter und andere Erzaehlungen

Der Toeter und andere Erzaehlungen

Titel: Der Toeter und andere Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veijo Meri
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Band 203 der Bibliothek Suhrkamp
    Veijo Meri
    Der Töter
    und andere Erzählungen

    Suhrkamp Verlag
    Titel der finnischen Originalausgabe
Veijo Meren novellit
Deutsch von Manfred Peter Hein

    Erstes bis viertes Tausend 967
    © Veijo Meri 967. Deutsche Übersetzung: © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 967. Alle Rechte vorbehalten. Satz und Druck: Nomos Verlagsgesellschaf, Baden-Baden. Bindung: Ludwig Fleischmann Fulda. Printed in Germany

    Der Töter

    Er lag im Morast am Flußufer, unbeweglich, vom Morgengrauen bis zum Abend; wenn es dämmrig wurde, verschwand er. Eine Woche hindurch war er da, ohne sich entdecken zu lassen.
    Er trug eine aus einer riesigen Stoffmenge gearbeitete Montur, mit Streifen und Fransen; darin war er wie ein raschelnder Erlenbusch, den der Wind öffnet und schließt, ohne den Blick hindurchzulassen. Seine Augen suchten unablässig das gegenüberliegende Flußufer ab, den dreißig Meter hohen Sandrücken, im Fernrohr, und ohne Glas. Vor allem an dieser anund absteigenden Grenzlinie war er interessiert, die über ihm den klaren Himmel vom trüben Land trennte. Von Zeit zu Zeit ließ er, um sich Abwechslung zu verschaffen, seinen kreisrunden Blick den Abhang hinabgleiten: zu den verschiedenen großen grauen Steinhaufen und den grauen Flecken Sand. Bis die im Fluß angestaute Floßholzmenge sich plötzlich über ihn zu neigen schien. Er richtete den runden, sehr wenig einfangenden, sich dafür aber um so weiter erstreckenden Blick langsam wieder nach oben, dorthin wo das Land auförte und sich der Himmel öffnete. Er hob seine Waffe, die in Streifen und Fransen gekleidet war wie ihr Herr, so langsam an, daß nichts auf eine Bewegung hindeutete.
    Damit der Körper nicht einschlafe, brachte er ihn von Zeit zu Zeit in Bewegung: er zog die Knie an und krümmte dabei den Rücken, dann streckte er sich, indem er die Beine spreizte, aber so langsam, daß nichts die Bewegung verriet. Damit konnte er eine halbe Stunde zubringen, um danach zwei drei Stunden dazuliegen ohne sich zu rühren. Um den Donner des Artilleriefeuers kümmerte er sich nicht, die Schußziele lagen weit ab, vor und hinter ihm. Man hatte versucht, ihn mit Granatwerfern zu vernichten am dritten Tag, indem man das Fichtenwäldchen am Flußufer unter massiven Beschuß nahm. Der Gegner feuerte mit hochexplosiven Geschossen, die in der Luf zerplatzten, aber er hatte das vorausgesehn und sich aufs offne Moor abgesetzt. Er hatte seinen Tarnanzug umgekrempelt und lag dort einen Tag über als gelbblau gefleckte Moorlache, ehe er wieder an seinen Platz zurückkehrte.
    Der Frontabschnitt war ruhig, zu ruhig. Immer wieder kam es dazu, daß er durchs Zielfernrohr einem Gegner direkt in die Augen starrte, die durch ihn hindurchzublicken schienen, wissentlich, aber sein Finger rührte sich nicht am Abzug. Auf Grund des Schusses hätte man ihn lokalisieren können. Sie versuchten ihn dazu zu bringen, daß er schoß. Man arrangierte für ihn Scheinziele: ein Helm bewegte sich wie eine Schildkröte die Randlinie des Abhangs entlang. Wenn sich ein Mensch bewegt, hebt und senkt sich der Kopf immer ein wenig. Wenn seine Füße sich voneinander entfernt haben, ist er kleiner als in dem Moment, in dem sie sich einander genähert haben. Derlei Grundregeln schienen die Fallensteller nie zu lernen. Man hatte ihn auf alle nur möglichen Täuschungsmanöver trainiert. Davon abgesehn schoß er nie auf einen Helm; immer nur ins Gesicht, ins Zentrum des Gesichts. Zielmarke war der Schnittpunkt der über Augen und Nase verlaufenden Achsen, ihr Nullpunkt. Auf einen seitwärts gedrehten Kopf schoß er nur im Ausnahmefall, weil das Ziel uneinheitlich, und es ziemlich schwierig war, so schnell, in einer Zehntelsekunde, einen Fixpunkt zu finden. Die einzig mögliche Stelle war das Ohr, aber damit man einen effektiven Treffer erzielte, mußte der Einschlag dicht dahinter liegen. Und zudem war die Zielfläche schmal. Außerdem hatte der Helm einen langen Nackenschutz. Wenn ein Mann einen Helm aufatte, schoß er auf ihn weder von der Seite noch von hinten, außer aus allerkürzester Entfernung. Wegen der schiefen Bauform hatte man den Helm praktisch immer im Anschlagwinkel.
    Man betrachtet seinesgleichen als für seinen Beruf
    geeignet, wenn er sich in der Lage zeigt, auf eine Figur von der Größe eines Kopfes aus einer Entfernung von sechshundert Metern mit hundertprozentiger Treffsicherheit zu schießen. Aber das genügt nicht. Man kann einem Menschen

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