Salz auf unserer Haut
jener unanständigen »Cocos-de-Mer« erworben haben, was ihnen bereits leid tut. Diese großen, auffallend anatomisch geformten Nüsse sind sehr teuer, und sie werden es nie wagen, sie in der Wohnzimmervitrine auszustellen, das Ding ist wirklich zu obszön, wie sie jetzt merken. Nur Mutter und Tochter wechseln ein paar Sätze, während die Ehemänner in regelmäßigen Abständen höflich nicken. »Dieses große Hotel, das so angenehm war, weißt du noch Maman, am Gardasee…«
»Ach ja, erinnern Sie sich, Henri?«
Maman siezt den Herrn Gemahl, auf dessen gelangweiltem Gesicht die ungezählten Urlaube mit seiner Ehefrau zu lesen sind, und jetzt nach der Pensionierung ist der Endlosurlaub angebrochen… Er wird den Weg nicht bis zum bitteren Ende abschreiten, einen Schlaganfall hatte er vorsichtshalber schon, das sieht man an seinem Stottergang. Aber in zehntausend Kilometern Entfernung von ihrer Heimat, tausend Kilometer weit weg von Madagaskar, der nächsten französischen Kolonie, können sich Franzosen nicht gegenseitig ignorieren. Die Bekanntschaft wird über die Cocos-de-Mer geschlossen.
»Jede einzelne Frucht ist numeriert, wissen Sie, denn der Export ist inzwischen streng geregelt«, verkündet Frau Mutter.
»Merkwürdig, man findet sie nur hier. Und die arabischen Fürsten haben sie früher schon für horrendes Geld gekauft, wegen ihrer aphrodisischen Wirkung!« sagt George.
Ein mißbilligendes Blitzen wird in den Augen der Frau Mutter sichtbar, offenbar hat sie Angst, man könnte sie der Erotomanie verdächtigen. Gauvain hat eine Augenbraue hochgezogen. Das sagt ihm doch was. Nicht Aphrodite, aber Aphrodisiakum. »Ich finde es komisch, daß die orientalischen Fürsten so was gebraucht haben. Die durften doch so viele Frauen haben, wie sie wollten!« sagt er. Die beiden Damen finden, daß die Unterhaltung etwas fragwürdig wird, und lenken sie in eine weniger gefährliche Richtung.
»Die Namen dieser ganzen Inseln klingen wunderbar, finden
Sie nicht?«
»Doch«, stimmt ihnen George zu. »Es ist übrigens rührend,
daß man hier an diesem weltverlorenen Ort unentwegt den
Namen eines Ministers von Ludwig XIV, Praslin, in den Mund
nimmt, wo er doch nicht ein einziges Mal einen Fuß auf diese
Insel gesetzt hat.«
»Warum heißt sie denn dann Praslin?« fragt Gauvain.
George weiß, daß es ihm vollkommen egal ist, aber sie wird es
ihm trotzdem erklären, weil sie es gerade heute im Reiseführer
gelesen hat. »Weil der Herzog von Praslin Marineminister war
und eine Expedition finanziert hat, und zwar just um jene
Cocos-de-Mer zu ernten, die damals schon so teuer waren.« »Immerhin gab es damals auf den Seychellen nicht einen
einzigen Eingeborenen«, läßt Herr Vater verlauten. »Die
Forschungsreisenden hier wurden nicht aufgefressen wie der
arme Lapérouse.«
»Auch Séchelles hat nie einen Fuß in die Gegend hier
gesetzt. Er war Königlicher Finanzinspektor, Moreau de Séchelles hieß er genau«, erläutert Herr Schwiegersohn. »Auch ich bin in der Finanzinspektion tätig«, fügt er selbstzufrieden hinzu.
»Es ist übrigens ein schöner Name. Ein Glück, daß es nicht einem Newcome oder sonst einem dieser Briten gelungen ist, dieses Paradies hier ›New Southern Wales‹ oder ›South Liverpool‹ zu nennen.«
George spürt, mit welchem Vergnügen sie hier am Ende der Welt chauvinistisch ist und wie freudig sie das perfide Albion verunglimpft.
»South Liverpool? Die Kreolen hätten das doch bald in ihre Sprache umgesetzt. Lang hätte es nicht gedauert, und es wäre so etwas wie ›L'Hiver-Poules‹ daraus geworden!«
Wortspiele dieser Art läßt sich Gauvain kaum je entgehen. Er weiß es zwar nicht, aber er hat ein Gefühl für Worte und eine große sprachliche Beweglichkeit, und damit kompensiert er seine Lücken. Aber die Franzosen wünschen es nicht, diese Unterhaltung fortzusetzen. Sie wissen nicht so recht, wo sie Gauvain und George, dieses seltsame Paar, ansiedeln sollen. Mit einem aseptischen Lächeln verabschieden sich die vier gegenseitig und ziehen ab in ihre Zimmer, im einzigen Hotel der Insel.
»Kauf ja keine Cocos-de-Mer!« befiehlt George Gauvain. »Rühr nicht einmal eine an. Wir würden daran zugrunde gehen!«
Am nächsten Morgen besteigen sie das Schiff nach La Digue. Jetzt rieseln die Tage schneller dahin, wie in einer Eieruhr der letzte Sand. Die Nachbarinsel ist ihre letzte Station. An einer Behelfsmole, die auf Holzpfählen ruht, macht der vorsintflutliche Schoner Belle
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