Salz auf unserer Haut
Hektar großen Sümpfe zuzubetonieren, diese wandernden Schlammbänke, wo es nur den Mangrovenbäumen gelingt, Wurzeln zu schlagen. Mehr noch als anderswo in Amerika muß man hier tausend Kilometer zurücklegen, ehe man hoffen kann, eine andere Landschaft zu entdecken. Entlang der endlosen Geraden, die den Golf von Mexiko mit der Atlantikküste verbindet und auf der, quer durch eine melancholische Sumpfwelt, die von verkümmerten Bäumen gesäumt ist, die Lkws und die großräumigen, leisen Limousinen mit gleichbleibender Geschwindigkeit dahinrollen, sind die einzigen Lebewesen die Vögel: Silberreiher, Fischreiher, Kraniche, Bussarde, Adler und natürlich die Staatssymbole, die unvermeidlichen Pelikane, weder wild noch zahm, sondern so müde von ihren langen Reisen, daß sie sich schließlich ostentativ auf den Pfählen niederlassen, an denen die Ausflugsboote festmachen; dort besteht dann ihre einzige Abwechslung darin, daß sie sich im Durchschnitt sechshundertmal am Tag photographieren lassen. Sie essen in Everglades City zu Mittag. Der Name hat sie gereizt, aber es handelt sich nur um eine vage besiedelte Zone, die man weder Städtchen noch Dorf nennen kann, ganz am Ende der riesigen Halbinsel. In einem Schweizer Chalet (warum auch nicht? Einen der Gegend eigenen Stil gibt es ja nicht!) verspricht die Karte the best fresh sea food in Florida. Best? Von wegen. Fresh? Von wegen. Sea? Das am schlimmsten verschmutzte Meer der Welt, so steht es in ihrem französischen Reiseführer. Also bleibt noch food. Aber die Stimmung ist heiter und sympathisch, die Amerikaner genießen mit Wonne ihren widerwärtigen Fraß, der in beeindruckenden Bergen und mit Ketchup gekrönt auf Papptellern serviert wird. Die Krabben, die Frösche, die Venusmuscheln und die fresh fingers sind absolut austauschbar. Aber der Franzose ist eben ein Meckerer, das ist ja bekannt.
»Man könnte meinen, man zerkaut Plastiktiere aus Disneyland, findest du nicht?«
Zur Vorsicht nickt Gauvain.
»Hast du das Cofimate-Tütchen gesehen?« fragt er. »Cofimate? Ach so, Ko fi meït, meinst du?«
»Du weißt doch, daß ich in allen Sprachen einen bretonischen Akzent habe!«
»Zumindest sind sie ehrlich genug, das nicht Milch zu nennen. ›Nichtmilchhaltige Substanz mit Sahnewirkung‹, wunderbar, wie?«
»Und dabei ersticken die hier genauso wie in Europa im Milchpulver, nehme ich an«, sagt Gauvain. »Hast du gesehen, was da alles drin ist? Hör mal zu, ich übersetze: partiell hydriertes Kokosöl, Natriumkaseinat, Mono- und Diglyzeride, Phosphate, Natrium und natürlich, wie sollte es auch anders sein, artificial flavours und artificial colours! Was können die wohl für künstliche Farbstoffe da hineintun, um Weiß zu erhalten?«
»Schlecht ist es jedenfalls nicht!« meint Gauvain. »Mmmm! Vor allem das Dikalium schmeckt köstlich. Dummerweise zerstört es den Geschmack des amerikanischen Kaffees nicht.«
»Hast du bemerkt, was das für Butter ist? Man könnte meinen, Rasiercreme.«
Wenigstens ist der Käse österreichisch und der Wein italienisch. Das kleine Europa scheint plötzlich zum Platzen reich an Milchkühen, an Käse, an Fisch, an Kirchen aus dem fünfzehnten oder siebzehnten Jahrhundert, die auch wirklich im fünfzehnten oder im siebzehnten Jahrhundert gebaut wurden und die noch immer da stehen, wo man sie hingepflanzt hat; ihr kleines Europa ist voll von Kunst, von Schlössern, von Flüssen, die sich nicht alle ähnlich sehen, von regional verschiedenen Kochrezepten, von kleinen gegensätzlichen Nationen, von bretonischen, baskischen, elsässischen oder Tiroler Häusern… Sie freuen sich, Europäer zu sein, und mehr noch, daß sie Franzosen sind und vor allem Bretonen! Sie finden wieder Geschmack daran, zusammenzusein.
Sie werden jetzt für ein paar Stunden noch einmal zurückkehren in die Sümpfe, zu den Mangrovenbäumen, den Silberreihern, den Fischreihern, den Kranichen, den Bussarden und den Pelikanen, nicht zu vergessen die zwei oder drei Seminolendörfer, die man neben der Autobahn nachgebaut hat, damit die Touristen sie mühelos entdecken und sich über die Lebensart der Indianer in ihren authentischen Behausungen informieren können. Deren Anzahl beschränkt sich auf drei, und eine davon beherbergt einen curios -Laden, wo man wollbestickte Ledergürtel und schlecht genähte Mokassins kaufen kann. Wenn die Indianer nähen lernten, wären ihre Produkte kein Kunstgewerbe mehr. Hinter einer Bambushecke erkennt man den modernen Wohnwagen mit
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