Salz auf unserer Haut
rotsieht.
Du Schlampe, du dreckige. Am liebsten würde ich dich um die Ecke bringen! Sie lacht ungläubig. Sie weiß, daß es mir nie gelungen ist, sie loszuwerden. Aber heute abend schäme ich mich, diese bösartige Kreatur in mir zu beherbergen und mir ihre scheußlichen Reden so lange angehört zu haben, um so mehr, als Gauvains Blick immer leidenschaftlicher wird, je näher der Augenblick der Trennung rückt. Es ist höchste Zeit, sie zu entmachten, die Anstandsdame. Nachher werde ich sie im Feuer unserer Liebe verbrennen, dir zu Ehren, mein Kormoran.
Vorerst sitzen wir eng umschlungen auf dem Sofa und schauen in die Flammen, die uns freundlich zuzüngeln. Leonhard Cohens karge Stimme harmoniert mit unserer Gemütsverfassung und scheuert unsere Seele wund. Karedig… wenn wir verheiratet wären?… Und wenn du jeden Abend nach Hause kämst, mein Kormoran?… Und wenn wir jeden Morgen zusammen aufwachten?… Ich bin so aufgewühlt, daß ich Dinge sage, die ich nicht denke oder nicht ganz oder nur einen winzigen Augenblick lang. Aber sie tun uns gut, und was bleibt uns anderes übrig, als zu träumen, um all das zu vermeiden, was einem Versprechen für die Zukunft ähnlich sein könnte? Die Zukunft tritt zum Glück nie sofort ein. Wir haben gelernt, ohne sie zu leben. Es genügt uns zu wissen, daß Gauvain im nächsten Herbst wieder nach Montreal kommen wird. Heute abend haben wir keine Lust zu tanzen, auch nicht, uns zu lieben. Einfach nur Zusammensein und nichts tun, als ob wir das ganze Leben vor uns hätten. Ich weiß nicht mehr, welches der Gedichte von Cohen uns in jener Nacht das Herz zerriß, Let's be married one more time, oder I can not follow you, my love, als das Wundersame begann. Ich erinnere mich nur, daß ich an Gauvain gelehnt vor dem Fenster stand und daß wir zusahen, wie die ersten Schneeflocken des Herbstes vor der Scheibe umherwirbelten. Unsere Gesichter berührten sich, aber wir küßten uns nicht. Und plötzlich waren wir anderswo. Wir hatten abgehoben. Unsere Haut war nicht mehr unsere Grenze, wir waren nicht mehr weiblichen und männlichen Geschlechts, wir fühlten uns außerhalb unserer Körper, etwas oberhalb vielmehr, und schwebten irgendwie, Seele an Seele, in einer undeutlichen Zeitdimension. Ich habe Gauvain mit fremder Stimme flüstern hören: »Sag nichts… ja nicht…«
Aber ich war nicht in der Lage, etwas zu sagen, und was auch? Jede Sekunde, die vorüberging, war Ewigkeit. Die Musik kam als erstes wieder, ganz allmählich drang sie wieder an unsere Ohren. Dann tauchte das Zimmer um uns herum wieder auf, ich habe wieder die Arme eines Mannes um mich gespürt, seine Wärme, seinen Geruch, und ganz langsam sind wir wieder in unsere unterschiedlichen Körper hinabgestiegen, die wieder zu atmen begonnen haben. Aber wir fühlten uns noch ganz zerbrechlich, die Bewegungen, die Worte machten uns Angst. Dann haben wir uns einfach hingelegt auf das Rentierfell und haben sehr tief und sehr eng umschlungen geschlafen. Wir wußten, daß es eine ganze Nacht der Stille und eine halbe Umdrehung der Erde brauchen würde, bis wir beide wieder zu uns zurückfinden würden.
Letzte Tage haben wir so viele erlebt, daß auch ich sie nicht mehr ertrage. Mir scheint, unsere Geschichte besteht nur aus ersten und letzten Tagen, und zwischendrin gibt es nichts. Gauvain sieht aus, als hätte ihn eine Kugel tödlich getroffen; sein Glied verweigert ihm seine Dienste in der letzten Nacht, was ihn rasend macht. Und je näher die Stunde der Abreise rückt, desto unruhiger wird er… Zwölf Stunden vorher ist er schon nicht mehr da. Die Zeitschrift, die er in den Händen hält, liest er nicht, die Platte, die er auflegt, und die Sätze, die ich ihm sage, hört er nicht. Mehrfach verkündet er, daß er nur noch seinen Koffer zu schließen brauche, um reisefertig zu sein, dann erklärt er, er werde nun seinen Koffer verschließen, es sei nun Zeit. Und schließlich meldet er mir, daß sein Koffer verschlossen und er reisefertig sei. Also bleibt ihm nur noch eines, sich in die Nähe der Tür auf einen Stuhl zu setzen und den Augenblick abzuwarten, wo er wieder aufsteht, um nachzuprüfen, ob sein Koffer auch wirklich gut verschlossen ist, und einen zusätzlichen Gurt anzubringen, den er so eng schnürt, als befürchte er, wilde Tiere könnten sich daran zu schaffen machen. Als ich ihn intensiv betrachte, um mir seinen geliebten Lockenkopf, seine wirren Augenbrauen, seine seidigen Wimpern und seinen amerikanischen
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