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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoîte Groult
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er schier in Ohnmacht sank, wenn er endlich in das kleine Tal gelangte. Wie konnte dieser Mann beim Anblick ihrer Vagina in Verzückung geraten und sich nicht für Picasso interessieren? Fünftausend Kilometer zurücklegen, um sich auf sie zu legen, aber keinen Schritt tun, um Notre-Dame zu besichtigen? ‒ Er mag eben lieber meine Vagina, das ist alles! sagt sie zu ihrer Anstandsdame, um sie zu ärgern.
Ach, geliebt zu werden bis ins Innerste! Die Anstandsdame spuckt verächtlich aus.
»Lozerech, mein Liebling, beschreib mir bitte, was du da drin findest. Sag mir, wie die andern sind und wodurch ich mich unterscheide.«
Er behauptet, sie beherberge einen Wundergarten zwischen den Beinen, einen Lunapark, ein Disneyland mit Achterbahnen, Wasserfällen und einer Frau mit zwei Unterleibern. Er sagt, er fahre immer neue Kurven aus, er finde neue Parkmöglichkeiten, sie besitze verschiebbare Wände, aufblasbare Teile, sie mache ihn verrückt, kurz, er sagt alles, was eine Frau nicht müde wird zu hören. Sie geht sogar so weit, Gauvains unaufhörliche Erektionen auf ihre Reize zurückzuführen, wo sie doch nur ein Zeichen seiner außerordentlichen sexuellen Qualitäten sind. Er wiederum rechnet dieses ganze bewegte Treiben George an, wo sie doch nur eine äußerst unpräzise Vorstellung dessen hat, was sich in ihrem Untergeschoß abspielt. Sie hat sich übrigens nicht die Mühe gemacht, die Ratschläge von Ellen Price zu befolgen, »um die Vagina besser zu beherrschen«. Ellen empfiehlt dringend Gymnastik: »Beginnen Sie morgens mit zwanzig oder dreißig Kontraktionen des Schambein-Steißbein-Muskels, oder machen Sie's im Sitzen, zum Beispiel beim Friseur, oder im Stehen an der Bushaltestelle. Sie werden es auf zweihundert oder dreihundert Kontraktionen am Tag bringen, ohne daß man Ihnen irgend etwas anmerkt. Um zu testen, ob Sie sich eine olympische Vagina antrainiert haben (da konnte sich George nicht zurückhalten, das mußte sie ausprobieren!), üben Sie jedesmal, wenn Sie Ihre Blase entleeren, den Urinstrahl mehrfach zu unterbrechen.«
Gauvain amüsiert sich. Daß man über solche Themen ernsthaft schreiben kann, verblüfft ihn und bestätigt ihn in der Annahme, daß alle Intellektuellen Spinner sind.
»Du brauchst das jedenfalls nicht«, sagte er mit liebenswerter Überzeugung. Es ist recht angenehm, daß er nichts weiß von den weiblichen »Maschen«. Wenn jedoch sein Moralempfinden sich wieder meldet, ist er besorgt: »Ist es nicht anormal, daß ich immer mehr Lust an deiner Lust habe? Das wirkt auf mich fast genauso, wie wenn ich's selber wär'!«
»Wieso soll das anormal sein, wenn man einem anderen Menschen Lust bereiten will?«
Ihre Zähne stoßen aufeinander, während sie sich küssen.
»Du grobschlächtiges Wesen«, sagt Gauvain. »Wenn du so weitermachst, geht mir noch ein zweiter kaputt.«
»Gut, gut, dann hören wir eben auf. Ich habe sowieso einen Krampf im Schambein-Steißbein-Muskel, weil ich nicht genügend Gymnastik mache.«
Sie nimmt ein Buch; indessen gibt er einem jener kurzen, aber hartnäckigen Schlafanfälle nach, versinkt in einen fast wütenden Kinderschlaf. Einen Seemannsschlaf könnte man auch sagen, jeder Hauch kann ihn stören. Jedesmal, wenn ihn ein plötzliches Geräusch weckt, ist Lozerech innerhalb von einer Zehntelsekunde an Deck; er macht nicht nur ein Auge auf, er steht senkrecht im Bett, in Alarmbereitschaft: »Was ist los?«
In solchen Augenblicken antwortet George mit der zärtlichen Geste, die sie eigentlich Loïc vorbehielt, wenn er aus einem Alptraum erwachte: »Schlaf, Liebling, es ist alles gut, nichts ist passiert.«
Er hatte sich angewöhnt, ihr zu antworten: »Doch, es ist sehr wohl etwas passiert: Du bist da!«
Nachts, wenn die Abwehrmechanismen aussetzen, dann fängt er an, von sich zu reden. Sie hört ihm zu, und plötzlich wird er beredt, der kleine Junge ihrer Kindheit, der junge Liebhaber ihrer Jugend, der zu diesem tapferen, unbekannten Kapitän geworden ist in einer Welt, um die kein Historiker von der Sorbonne sich bisher gekümmert hat. Er erzählt ihr von den großen Augenblicken seines Lebens auf See, Augenblicken, die nur ein Seemann erfahren kann; auch von den lustigen Augenblicken. Im vergangenen Sommer ist seine Mannschaft für den Urlaub aus Afrika zurückgeflogen. Das war das erstemal, daß Seeleute auf diese Weise in die Heimat zurückgebracht wurden, die meisten hatten noch nie ein Flugzeug bestiegen. »Das hättest du sehen sollen in der

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