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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoîte Groult
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einzige Blume, kein Liegestuhl, kein umgefallenes Kinderfahrrad ist da zu sehen, nur eine grüne Fläche, die durch ein unsichtbares Rohrsystem zweimal am Tag gesprengt wird, auch wenn es regnet, da die Anlage für die Saison durchprogrammiert ist. Von Zeit zu Zeit taucht zwischen zwei Wolkenkratzern ein rührend anmutendes Stück unbebautes Gelände auf, das mit seinen wuchernden Brombeerhecken und seinen stacheligen Gräsern daran erinnert, daß es die Natur einmal gegeben hat und daß Gras nicht in sauber gemähtem Zustand wächst. Aber Florida vergißt nie, daß es in erster Linie ein riesiger Rummelplatz ist. Alle fünf oder sechs Kilometer macht es ein drohendes Straßenschild dem Autofahrer zur Pflicht, langsamer zu fahren, um die intelligentesten Robben der Welt, die wildesten Tiger, die indianischsten Indianer auch ja nicht zu übersehen. Tatsächlich taucht dann auch bald ein hispano-amerikanisches Tor auf, das Zugang zu einem Aztekentempel oder einer neugotischen Burg, je nachdem, verschafft, und an dem Eintrittskarten in die Natur verkauft werden: Jungle Gardens, Wild Animals Park oder Alligator Farm. Und die verfeindeten Wörter finden sich damit ab, auf dem fluoreszierenden Plakat nebeneinander zu stehen, obgleich schon der Gedanke, Dschungel und Park, Krokodile und Farm, Tiger und Garten miteinander zu verbinden, eigentlich jeden mit etwas Verstand versehenen Menschen in die Flucht schlagen müßte. Als ersten den Tiger.
    Und dabei ist es erst einhundertfünfzig Jahre her, daß Spanien diese riesige, sumpfige Halbinsel den Vereinigten Staaten abgetreten hat! George versucht ihre Bestürzung mit Gauvain zu teilen, aber der Lozerech-Sohn ist von soviel Reichtum überwältigt. Sie machen Station, um das bescheidene Haus von Mr. Harkness Flagler, »dem Mitbegründer der Standard Oil Company« ‒ wie man in Europa sagen würde »dem Autor der Göttlichen Komödie« ‒ zu besichtigen. »Das Flagler Museum ist seit 1906 in seinem ursprünglichen Zustand erhalten«, erwähnt der Führer ehrfurchtsvoll, als redete er von einem sehr alten, sehr edlen Jahrgang. Der Salon scheint aus dem Palazzo duccale in Mantua herausgelöst, die Decke aus der Giudecca in Venedig herausgerissen, die Wände sind präraffaelisch und die Badezimmer pompejanisch. Es sind echte Mosaiken, echte Gemälde, aber ihre Seele ist irgendwo unterwegs verlorengegangen. Alles ist von Unechtheit oder Lächerlichkeit geprägt. »Wirf mal einen Blick auf unseren Führer! Der sieht fast aus, als wäre er…«
    Aber George hält inne. Wie soll man die Visage und die Stimme eines Pariser Schauspielers jemandem beschreiben, der noch nie im Theater war? Gauvain hat auch noch nie Venedig oder Mantua oder Pompeji gesehen, wie sollte er da schockiert sein? Ausnahmsweise erscheinen ihm die Antiquitäten, von denen er immer dachte, sie seien zwangsläufig staubig und wackelig, ganz neu mit ihren Goldverzierungen und ihren Skulpturen, an denen nicht ein Kringel, nicht eine Zehe fehlt. Er ändert sein Urteil: Das Alte kann schon ganz toll sein! Aber was für ein sonderbarer Einfall, sich mit Lozerech Besichtigungen vorzunehmen. Sie vergißt, daß er nur fürs Bett gut ist. Sie hätten in der Nähe eines Bettes bleiben sollen.
    Sie fahren weiter. George hat nur zwei oder drei sehenswerte Museen ausgesucht, aber dazwischen liegen jeweils Dutzende von Meilen auf den langweiligsten Straßen. Mit Sydney wäre das lustig. Mit seinem zerstörerischen Witz würde er Florida von der Karte der zivilisierten Staaten wegätzen. Gauvain bemerkt nichts Besonderes, für ihn ist Landschaft Landschaft, und übergreifende Gedanken sind nicht seine Stärke. Also versucht er, die Stille zu durchbrechen und George zu unterhalten.
    »Ich erzähl' dir mal 'nen netten Witz. Also: Weißt du, warum das Bier, wenn man es trinkt, sofort wieder unten rauskommt?«
    Nein, George weiß es nicht.
»Weil es unterwegs nicht die Farbe wechseln muß«, sagt er entzückt und ist gespannt auf ihre Reaktion. Sie deutet noch nicht einmal ein Lächeln an, um ihm endgültig klarzumachen, daß diese Art von Witzen, die bei den Alkoholikern der Südbretagne gängig sein mögen, nicht den geringsten Hauch einer Andeutung von Interesse haben. Aber sie weiß, daß er daraus nur folgern wird, daß sie keinen Funken Humor hat. Wird sie ihm eines Tages erklären können, daß Humor nicht… daß Humor… ach, es würde nichts nützen. Die Leute, die keinen Humor haben, sind am empfindlichsten, wenn es um

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