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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoîte Groult
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Sinn für Humor geht. »Du schau mal, da rechts bauen sie ein neues Haus«, sagt er ein wenig später, um das Thema zu wechseln. »Es kommt selten vor, daß man ein altes Haus baut«, antwortet George.
    »Richtig«, sagt Gauvain kühl und hüllt sich fortan in Schweigen.
Gott sei Dank kommt ihnen der Appetit zu Hilfe. Angelockt durch wiederholte Aufforderungen, real fresh sea food zu genießen (was ja besagt, daß es auch false fresh sea food geben kann), machen sie Station in einer Fisherman's Lodge, oder war es eine Pirate's Grotto oder ein Sailor's Cove? Wie dem auch sei, der letzte real fresh fisherman ist von diesem Ort seit langem verjagt worden, und die Grotten haben zwanzig Stockwerke hohe Häuser auf dem Buckel. Sie werden übrigens auf der ganzen Reise nicht einen einzigen Fischereihafen entdecken, nichts als »Parkplätze für Yachten«, so nennt sie Gauvain. Und sie werden nicht einen einzigen Fischladen sehen, der identifizierbare Fische mit Kopf und Schwanz anbietet, nur farblose Fischfilets in Plastik verpackt, die brav in den Tiefkühltruhen der Supermärkte nebeneinanderliegen. Ihr Mittagessen besteht aus faden, fetten, vorher ausgelösten Austern, denen man sorgfältig den letzten Tropfen Meerwasser ausgespült hat, und aus so fleischigen Venusmuscheln, daß man Schuldgefühle bekommt, wenn man sie kaut. Danach gehen sie schwimmen an irgendeiner undefinierbaren Stelle des endlosen Strands, der die Ostküste auf Hunderten von Kilometern säumt, und überall finden sie gleichmäßig verteilt die auf Klappstühlen sitzenden und in bonbonfarbenen Kleidern steckenden Greise und Greisinnen. Aber sie fahren bald weiter, denn George will vor dem Abend unbedingt die in Spanien sorgsam abgerissenen »Cloisters« sehen, die nun hier auf einem ausgesparten Stückchen Boden zwischen den modernen Gebäuden stehen. Das SaintBernard's real Monastery hat mit einem Zisterzienserkloster soviel zu tun wie ein Roboter mit einem Menschen. Überhaupt ist immer dann Mißtrauen angezeigt, wenn man irgendwo das Wort real liest. Die Steine sind durchaus spanisch, aber die Fliesen sind mexikanisch, und in der Kapelle ist der Fußboden aus Linoleum mit mediterranem Kachelmuster. »Hat es hier mal Mönche gegeben?« fragt Gauvain, während sie durch den Kreuzgang wandeln, dem es aus unerfindlichen Gründen gelingt, noch einen Anflug von geistlicher Atmosphäre zu bewahren. »Nein, dieses Kloster ist von A bis Z künstlich. Es steht nur hier, weil ein Milliardär namens Randolph Hearst sich das aus einer Laune heraus in den Kopf gesetzt hat. Hast du Citizen Kane gesehen?«
»Nein, sagt mir nichts.«
»Das ist ein Film von Orson Welles, der die Lebensgeschichte dieses Hearst erzählt. Der war ein Pressezar und… Ich werd' es dir heute abend erzählen.«
George seufzt im voraus beim Gedanken an die vielen Erklärungen, die sie ihm wird liefern müssen. Im Grunde müßte sie mit der Mayflower anfangen, zu den Conquistadores vordringen, den Völkermord an den Indianern erwähnen, und jeder Bericht würde einen anderen nach sich ziehen… Eine Hauptvorlesung wäre das, aber besser wären zehn Jahre Schule, zehn Jahre Umgang mit der Geschichte, der Literatur und der Geographie. Welche Einöde ist doch manchmal das Leben eines Lozerech! Was sieht er von einem Land, er, der mit dem Sichtbaren nur ein anderes sichtbares Zeichen assoziieren kann?
Am Abend ist sie schlimmster Laune. Sie ist wütend über sich selbst, weil sie wütend ist auf ihn. Außerdem mußten sie aus Sparsamkeitsgründen mit einem Howard Johnson, der untersten Stufe des Fast food, vorliebnehmen.
Für die Nacht haben sie ein Zimmer in einem Motel »mit Blick aufs Meer« reserviert. Es trägt den Namen Sea-View, um den Kunden vollends in die Irre zu führen, aber im Prospekt war es so geschickt dargestellt, daß man nicht merkt, daß es im Profil photographiert ist und daß nur zwei Fenster auf der Schmalseite auf den Ozean hinausgehen. Ihr Fenster geht erstens auf den Parkplatz und zweitens nicht auf, und das soll es auch gar nicht! Außerdem liegt das Zimmer neben der Maschine, die Tag und Nacht Eis herstellt und zu Würfeln zerkleinert. Wenigstens gelingt es der Klimaanlage, die vor der köstlichen Seeluft schützt, das Brummen des Eiszerkleinerers einigermaßen zu überdecken, vor allem dann, wenn zusätzlich das Geratter des Bulldozers zu vernehmen ist, der den Strand wie jeden Abend abkämmt und ebnet. Ihre zwei Betten sind durch ein fest installiertes

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