Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
Friedhof, in seinem Zentrum eng an eng von Mausoleen bestanden. Sie bildeten eine Gräberstraße wie diejenige in … Kaufner schluckte trocken durch, wie die in Samarkand, Shah-i Sinda.
Die Totenstadt, von der Nazardod erzählt hatte! Wenn es so etwas wie Glück in Kaufners Leben gab, dann jetzt. Pardon, Kaufner, so müssen wir es wohl nennen – Glück. Er fühlte sich völlig klar im Kopf, das Fieber war abgeklungen, nichts störte ihn bei der Erkenntnis, daß er unmißverständlich angekommen und seine Suche zu Ende war. Alles schien ausgestorben bis auf die Vögel, die hoch am Himmel kreisten oder im Tiefflug über den Ruinen segelten, sich von den Aufwinden am Trichterrand emportragen ließen oder von einer der Zinnen des Grates auf das herabsahen, was, eingeschmiegt in den Kessel, seit Hunderten von Jahren hier zu sehen sein mochte. Adler, Habichte, Falken, wer weiß. Direkt gegenüber, in zahlreichen Nischen und Höhlen unter einem Überhang, sogar eine Kolonie von Geiern. Wie unverschämt laut sie allesamt waren!
Mittlerweile ging es blitzschnell, wenn Kaufner den Blick auf Gebirgsformationen richtete; die Unterschiedlichkeit der Flanken, Wände, Schrunden, Runsen erfaßte er, ein geübter Paßgänger, ohne sich sonderlich mit Details aufzuhalten. Doch um das Magische des Kessels zu erfassen, brauchte er Zeit, immer wieder entdeckte er Neues. Reste alter Bewässerungskanäle an den Hängen. Dort, wo sie im Kesselgrund mündeten, ein kleiner Hain – also Wasser! Ein Treppenweg, der die kahle Flanke des
Leeren Berges
hinabführte in die Stadt. Überall, wo man Felsbrocken für die Mauern der Gebäude geschlagen hatte, dunkle Steininseln. Auf halber Strecke zur Stadt hinab die erste Ruine, riesig, wahrscheinlich ein Palast. Der Weg führte mitten durch ihre Außenmauern hindurch, einer der Torbögen stand noch, auch er aus schwarzen Granitblöcken imposant gefügt. In den Villen darunter da und dort Umrisse von Wasserbassins, Terrassen, Höfen. Im Stadtzentrum die Reste von Kuppelbauten, vielleicht der Bazar, vielleicht der Hamam, und vor allem der Friedhof. Ausgiebig betrachtete ihn Kaufner im Zielfernrohr.
Die Gräber waren zum großen Teil bloß noch Gruben oder Erdhügel mit und ohne Umzäunung, einige kleine Mausoleen aus Lehm konnte man ausmachen, zum Großteil eingestürzt. Ein paar Erdhaufen erschienen frisch aufgeworfen, in anderen steckten spitze weiße Steine oder Plastikblumensträuße. Aber das konnte doch gar nicht sein? Der Friedhof war vollständig von einem mannshohen Maschendrahtzaun umgeben, wie im Gebirge üblich, war also nicht bloß Ruinenfeld, wie es den Anschein hatte, sondern Ort der Totenruhe, an dem auch heute noch begraben oder Verstorbenen die Ehre erwiesen wurde. Man erkannte sogar die Stelle, wo man einen der Stecken, an denen der Maschendraht befestigt, zur Seite heben konnte, um hineinzuschlüpfen. Zwischen den Grabstellen das übliche Ödland, da und dort mit einem Abfallsack markiert oder was immer es sein mochte. Aber das konnte doch erst recht nicht sein? In der Mitte der Anlage, auf den Felsabbruch im Norden zulaufend, die Gräberstraße in satt schillerndem Schwarz, als wäre der Blitz hineingefahren und hätte die Felsen von innen verkohlt. Das größte Mausoleum ganz an der Kante, dramatisch inszeniert vor der Kulisse – kein Zweifel, das Grab des Gebieters.
Von den Bauten selbst standen nur mehr die schieren Mauern, bruckstückhaft da und dort von farbigen Kacheln geschmückt. Aus allen Richtungen führten Trampelpfade auf sie zu, helle Linien auf grauem Grund. Keine Frage, der Bergkessel, in den Kaufner hinuntermußte, war der Lieblingsspielplatz der Jungs, spätestens jetzt würde es todernst werden. Verfluchte Wette! Und noch immer wollten sie sich nicht zeigen, um sie einzulösen. Immerhin war nun klar, warum sie ihn überhaupt so lange am Leben gelassen hatten – um hier, nach allen Regeln ihrer Kunst, ein fröhliches Kesseltreiben zu veranstalten. Verfluchter Berg, verfluchter Bergkessel! Zeigt euch endlich, ihr Feiglinge! Gewiß hockten sie hinter irgendeiner Ruine und stritten darüber, wie sie ihn auf eine Weise ins Jenseits befördern konnten, daß er dort weiterhin gedemütigt werde, jedenfalls nach ihrer Vorstellung und im Namen Gottes, des Erbarmungsvollen, des Barmherzigen. Aber ein Auftrag war so lange ein Auftrag, bis er erfüllt war. Selbst wenn man längst nicht mehr daran glaubte, nie daran geglaubt hatte. Kaufner entsicherte sein Gewehr. War
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