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Samstags, wenn Krieg ist

Samstags, wenn Krieg ist

Titel: Samstags, wenn Krieg ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Wolf
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denn aus?“
    Eigentlich ist Siggi sauer auf Yogi. Mächtig sauer sogar. Aber als er Yogi sieht, wandelt sich sein Zorn in Mitgefühl.
    Gleich macht er sich Selbstvorwürfe. Er klopft Walderde von Yogis Jacke und zupft dorniges Gestrüpp aus seinen Haaren. Siggi spuckt in ein Taschentuch und wischt damit Yogis Gesicht ab.
    Yogi zittert. Er riecht nach Urin. Er hält Siggi so fest am Arm, dass es Siggi wehtut.
    „Was hat denn Yogi? Was ist denn los?“
    Yogi will Siggi wegziehen. Aber Siggi schüttelt den Kopf. „Nein. Wir gehen jetzt nach Hause.“
    „Wald!“, will Yogi sagen und „Renate“, aber aus seinem Mund kommt nur Geblubber. Er sieht es an Siggis Gesicht. So gucken sie immer, wenn sie ihn nicht verstehen. Wenn seine Zunge ihm nicht gehorcht.
    Er versucht, Siggi in die Richtung zu ziehen. Dort hinten zum Waldrand, wo er alles gesehen hat. Wenn Siggi bei ihm ist, wird ihm niemand etwas tun. Siggi ist stark.
    Aber Siggi zieht ihn in die falsche Richtung.
    Yogi will nicht. Er knickt in den Knien ein, lässt sich fallen und klammert sich an Siggi.
    „Jetzt ist gut. Es reicht, Yogi. Komm mit nach Hause.“
    Siggi seufzt. Yogi ist schwer. Er kann ihn unmöglich den ganzen Weg schleppen, außerdem fürchtet er, die anderen könnten vom Willi kommen und ihn so sehen. Es ist ihm immer noch peinlich, dass er einen blöden Bruder hat.
    Um die Zeit hat Willi längst zu. In letzter Zeit nimmt er es mit der Sperrstunde genau.
    „Höchstens noch ein Bier, Froinde, und dann Abpfiff!“
    „Du musst doch Hunger haben. Steh auf. Wir haben noch Pudding im Kühlschrank. Komm. Schokoladenpudding.“
    Das Zauberwort.
    Yogi steht freiwillig auf und kommt mit. Er schmatzt, lacht.
    „Okolade…udding.“
    „Ja, du blöder Papagei, du. Okolade…udding“, äfft Siggi seinem Bruder nach. Da es eines der ganz wenigen Worte ist, die Yogi ansatzweise spricht, ist es in der Familie zum Schlagwort geworden. Nicht mal Siggis Vater sagt noch Schokoladenpudding. Sie haben das Wort durch Yogis Lallsprachenausdruck ersetzt.
    „Mein Gott, gibt es heute schon wieder Okolade…udding?“
    „Ihr wisst doch genau, wie gern Yogi ihn isst. Grunz. Grunz.“
    Yogi läuft neben Siggi her und wiederholt es in einem fort. Es ist eine Art seligmachender Gesang. Seligmachend und verblödend zugleich.
    „Okolade…udding, Okolade…udding.“
    Siggi kennt das. Es kann Stunden so gehen. Es ist ihm egal. Hauptsache, Yogi freut sich und kommt freiwillig mit.
    Da trifft Yogi etwas wie ein Faustschlag. Er krümmt sich, greift sich an den Hals, will wieder in die andere Richtung.
    „Jetzt reicht es“, sagt Siggi trocken und packt Yogi ganz fest. „Hör auf mit dem Scheiß. Komm jetzt endlich.“
    Etwas macht Yogi Angst. Er rennt los. Siggi kommt kaum mit.
    Als ihnen ein Wagen entgegenkommt, drängt Siggi Yogi zur Seite. Er wäre sonst einfach zwischen die Scheinwerfer gelaufen.

12
    Wolf nimmt noch einen heißen Zug. Die Glut an der selbstgedrehten Zigarette ist lang und spitz. Er raucht zu hastig. Er saugt den letzten Qualm bis in die Lungenbläschen ein. Er pafft, als könne er damit alles ungeschehen machen.
    Seine Hände sind eiskalt und die Füße in den Docs auch. Er krampft die Zehen zusammen und streckt sie dann wieder aus. Es ist feucht in den Springerstiefeln. Feucht und kalt.
    Gern wäre er jetzt woanders. Aber was er jetzt tun muss, wird ihm niemand abnehmen.
    Er versucht, ganz der Söldner zu sein.
    Samstags … wenn Krieg ist. Wochenendkampf. Freitagabendsieg. Sonntagmittagschlacht. Samstagsfront.
    Ja, auf der Straße, mit einem Baseballschläger in der Hand. Wenn die Mollies fliegen und die Steine, dann ist er stark. Der härteste Kämpfer in den Häuserschluchten. Dann glüht seine Haut. Aber jetzt, allein, ohne die Rufe der anderen. Im Dunkeln. Keine schützenden Hauseingänge. Keine Fluchtwege durch Flure und Hinterhöfe.
    Sein Herz rast. Er vergisst zu atmen und holt dann mit weit aufgerissenem Mund Luft, wie jemand, der kurz vor der Ohnmacht aus dunklem Wasser auftaucht. Sein Magen hat Reißnägel zu verdauen. Glassplitter und Sondermüll.
    Er packt Renates Arme und zieht sie tiefer in den Wald. Er erschrickt, denn seine Hände sind kälter als ihre Haut.
    Das Wort Leichenstarre schießt durch seinen Kopf. Renate ist beweglich wie eine Gummipuppe. Ob sie überhaupt tot ist?
    Er findet ihren Puls nicht. Er rollt ihr T-Shirt hoch bis zu den Achselhöhlen und tastet ihre Brust nach Herztönen ab. Nein, es ist kein geiles Gefühl, sie

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