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Samstags, wenn Krieg ist

Samstags, wenn Krieg ist

Titel: Samstags, wenn Krieg ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Wolf
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werfen.
    Renate passt sonntagmorgens nie auf Yogi auf. Sie hilft Mutter bei den Vorbereitungen fürs Essen. Sonntag ist der einzige Tag, an dem alle zusammen zu Mittag essen. Schmidtmüller besteht darauf.
    Immer gibt es eine Vorsuppe, Braten, Gemüse oder Salat, Kartoffeln mit Soße und Nachtisch. Dass alles in der richtigen Reihenfolge fertig wird, versetzt Frau Schmidtmüller jedes Mal aufs Neue in Hektik, die sich zu wahrer Panik auswachsen kann, wenn etwas schiefgeht. Ob die Soße klumpt oder ein Weltkrieg verloren wurde, scheint die gleiche Bedeutung zu haben. Sie ist schweißgebadet, wenn die ganze Familie die Vorsuppe auslöffelt.
    Renate hilft ihr, ohne zu maulen. Führt Handlangerdienste aus und lässt sich in der Hoffnung auf Kinogeld gleichmütig herumkommandieren.
    Heute Morgen nimmt sie ihren gewohnten Platz nicht ein. Frau Schmidtmüller wiederholt es wie eine defekte Langspielplatte: „Renate ist heute Nacht nicht nach Hause gekommen. Renate ist heute Nacht nicht nach Hause gekommen. Renate ist heute Nacht nicht nach Hause gekommen.“ Dabei variiert sie ihre Stimme, sodass Siggi viel mehr hört als nur diesen Satz.
    Mal hört er hinter den Worten: Hoffentlich ist ihr nichts passiert, der Armen. Dann: Wie kann mir das Biest nur so was antun? Jetzt stehe ich mit der ganzen Arbeit alleine da. Als ob ich nicht schon genug am Hals hätte. Das gehört sich nicht für ein Mädchen in ihrem Alter. Bestimmt war sie bei einem Kerl. Hoffentlich hat sie aufgepasst. Nicht, dass sie mit einem Kind nach Hause kommt. Oder noch schlimmer – AIDS.
    Weil Renate nicht da ist, kriegt Siggi den ganzen Segen ab. Yogi muss sich nie Vorwürfe anhören. Er hat Narrenfreiheit. Egal, welche Schuld er auf sich lädt. Es ist alles schon im Voraus durch seine Behinderung abgegolten.
    „Selig sind die Bekloppten“, sagt Siggi, „denn die brauchen keinen Hammer.“
    Er zieht Yogi in den Flur und hilft ihm, die Schuhe anzuziehen.
    „Sag so etwas nicht!“, zischt Schmidtmüller. „So redet man nicht mit seinem Bruder.“
    „Ach, der kriegt doch sowieso nichts mit.“
    Yogi lacht. Er spürt, es geht um ihn.
    Sie sind schon fast draußen, da hält Frau Schmidtmüller ihren Sohn auf.
    „Du kannst mir doch nicht erzählen, dass du nicht weißt, wo Renate ist.“
    Siggi zuckt nur mit den Schultern.
    „Ist sie bei deinen Glatzenfreunden?“
    „Nein“, brummt Siggi zurück. „Diesmal sind wir nicht schuld. Wir haben die ganze Zeit beim Wotan gesessen. Renate war nicht dabei.“
    „Dein Freund Wolf war noch hier und hat sie gesucht.“
    Sie bemerkt plötzlich, dass sie beim Reden die Luft angehalten hat. Sie versucht, ihre Atmung unter Kontrolle zu bekommen und fasst sich an die Rippen.
    „Ach“, stöhnt sie, „man hat nur Sorgen mit den Kindern.“
    Gut, dass nicht nur immer ich Schwierigkeiten mache, denkt Siggi. Ich will nicht immer der einzige sein, der Scheiße macht. Er schiebt Yogi vor sich her zur Tür.
    „Damit eins klar ist“, stellt Siggi hart fest, „ich pass jetzt auf ihn auf. Bis zum Mittag meinetwegen. Aber heute Nachmittag bin ich nicht dran. Ich habe eine Verabredung.“
    Er schaut seiner Mutter direkt ins Gesicht. Es klingt wie eine Drohung. „Und da geh ich hin.“
    Sie mag es nicht, wenn er das letzte Wort hat.
    „Was war das denn für eine Gartenparty? Wenn sie nicht bei euch war, wo ist sie dann hingegangen?“
    Seine Mutter hat eine nervtötende Art, immer wieder die gleichen Sätze zu sagen und Fragen zu stellen. Mal fordernd, mal jammernd. So erreicht sie immer alles. So bombt sie leise weinend alles durch. Ihr Mann nennt das: Sie wirft wieder ihre tibetanischen Gebetsmühlen an.
    Siggi hat keine Ahnung, wie so ein Ding aussieht, aber ihm graust davor. Er hat das Gefühl, darin zermahlen zu werden zu willenlosem Staub.
    Er presst die Antwort zwischen den geschlossenen Zahnreihen hervor, als würden seine Beißer versuchen, die Worte festzuhalten.
    „Bei den Itakern.“
    Mit den Worten will er jetzt nun wirklich raus. Hauptsache an sie frische Luft. Yogi lacht und setzt sich breitbeinig auf den Boden.
    „Was, wo?“, hakt die Mutter nach, dabei hat sie es genau verstanden.
    „Bei den Spaghettifressern.“
    Ins staunende Gesicht seiner Mutter spuckt er die Worte, hasserfüllt: „Deutsche Jungens sind ihr wohl nicht mehr gut genug!“
    Dann hilft er Yogi auf die Beine und zieht ihn mit sich fort. Seine Mutter lässt er einfach stehen. Er dreht sich nicht mehr um. Er doch nicht.

16
    Die

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