Samtheiß
der dumpfe Aufprall deines Kopfes, als du auf das harte Pflaster schlägst. Ich schreie. Zu spät.
Deine Mutter hält den Eisbeutel mit einer Hand fest gegen deine Stirn gepreßt, mit der anderen drückt sie dir ein ehemals weißes Taschentuch unter die Nase und hält die Nasenlöcher zu, aus denen dick und dunkelrot Blut und Gewebe sickern. Ich sitze auf dem Hocker neben der Couch, auf der du so still liegst und kaum atmest. In eurem Wohnzimmer ist es dunkel, sogar in der strahlend hellen Mittagssonne, und kühl, wie Wasser. Aber du lachst jetzt nicht mehr. Ich kann deinen Sturz oder dein Blut oder deine Tränen nicht aufhalten.
Nachdem das Bluten aufgehört hat, sehe ich dich neben deine Mutter in den Wagen steigen. Später rufe ich an, und du erzählst mir mit Schnupfenstimme, daß du beim Arzt gewesen bist. Meine Nase, sagst du, sie mußten sie noch mal ausbrennen. Du beschreibst, wie sie ein glühendes Stäbchen in deine Nasenlöcher steckten, um das kaputte Gewebe zu verschorfen. Aber kann sein, daß es nicht hinhaut. Du liegst auf dem Rücken mit einem Eisbeutel auf der Stirn und siehst dir in eurem dunklen Wohnzimmer eine Baseballübertragung an. In eurem Hof rieselt das Wasser immer noch.
Ich sitze vor unserem Haus auf den harten und kalten Schieferstufen und warte. Ich weiß nicht, worauf ich warte - vielleicht, daß es dir besser geht und du zu mir auf die Straße kommst. Aber du kommst nicht.
4.
Wir stehen bis zu den Knöcheln im Schlamm, bis zu den Oberschenkeln im Wasser. Auf dem Grund des Flusses suchen wir nach Quahogs, wir treten vorsichtig auf, spielen mit den Zehen, dann strecken wir die Hände aus, die Arme bis zu den Schultern im Wasser, um die weißen, harten Muscheln herauszufischen. Das Ruderboot tänzelt auf den kleinen Wellen, die der Wind macht. Ich halte das Seil, ziehe das Boot heran und schütte den nächsten Eimer Quahogs in den türkisfarbenen Schiffsrumpf aus Fiberglas. Eine Möwe schreit uns an und fliegt im Sturzflug auf unsere Köpfe zu, läßt sich aber wieder vom Wind gen Himmel treiben, als wir uns ducken und unsere Schädel mit dem freien Arm schützen. Sie greifen nie an, sie drohen bloß. Wir haben aber trotzdem vor Angst die Köpfe eingezogen.
Im Haus schüttet deine Mutter dann unseren Fang in einen großen Topf mit kochendem Wasser, und wir schauen zu. Sie macht den Deckel zu, und der Dampf quillt hervor, eine zarte Wolke über dem Ofen, die das Fenster beschlägt. Dein Großvater sitzt draußen in einem Liegestuhl, ein Taschenmesser in der Hand, schlitzt die Muscheln auf und ißt sie roh.
Mir wird schlecht, und ich kann nicht hinsehen. Als die Muscheln im Topf sich geöffnet haben, nimmt deine Mutter sie vom Feuer und gießt die milchige Flüssigkeit ab. Auf dem Boden des Topfes sitzt eine Schlammschicht. Wir nehmen jede vorsichtig ein Schalentier von dem Haufen und drücken es ganz auf. Innen ist das Fleisch weich und warm, als wäre es noch lebendig; um den Bauch eine dünne Schlammlinie, die ich mit der Spitze meines Zeigefingers nachziehe. Es schmeckt nach Salz, nach Felsen, nach einem dunklen Geheimnis des Ozeans. Öffne mich, flüstere ich in meine Hand.
5.
Ich bin groß für mein Alter. Du bist klein. Ich tue so, als wärst du meine Tochter. Ich halte dich im Wasser in meinen Armen und fühle deine zarte Stirn an meinem Hals. Ich presse deinen Körper an meinen, und du erschauerst; ich halte dich fester. Die Wellen bewegen uns hin und her, und du schmiegst dich an - ich, bis zum Hals im Wasser; du, noch zu klein, um mit deinen Zehen den Boden zu erreichen. Wir bleiben so, bis deine Mutter uns zurück an den Strand ruft. Im seichten Wasser lasse ich dich sanft herunter und du läufst, mit fliegenden Haaren, dünnen Beinen, die das Wasser aufwühlen, Gischt spritzt auf, die sich wie ein schützender Schild vor dich legt, als deine Füße die Wellen durchstoßen. Deine Mutter schüttelt den Kopf und wünscht sich, du wärst mehr wie ich. Aber sie würde die Wahrheit nicht wissen wollen. Warum ich dich im Wasser so eng an mich presse, wie weich und warm deine Haut an meiner ist, wie ich nachts im Bett meine Arme fest um mich lege und mir vorstelle, du wärst da. Verzaubert. Ich berühre mich, öffne eine Muschel. Meine Fingerspitze reibt langsam entlang der Ränder, dringt dann in fleischige Falten, lebendig und pulsierend, warm und feucht. Ich schwöre dir, niemand wird es je herausfinden. Ich verspreche es, ich werde es nicht verraten.
EVA SHADEROWSKY
Was
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