Samuel Carver 05 - Collapse
sollte ich ihre Identität feststellen können.«
»Nicht nötig«, erwiderte Grantham. »Das ist Alexandra Vermulen, geborene Petrowa, auch Alix genannt. Sie ist Russin und um die vierzig. Faszinierende Frau.«
»Das klingt, als ob Sie sie gut kennen«, bemerkte Nainby-Martin.
Grantham schwieg. Er dachte an das eine Mal zurück, als er ihr persönlich begegnet war: bei einer Beerdigung in Norwegen, wo man Abschied nahm von einem guten Mann, der einen schlimmen Fehler gemacht hatte. Und dann dachte er an weiter zurückliegende Ereignisse und an den Mann, durch den er Alix kennen gelernt hatte und der sie liebte: Samuel Carver.
»Nein«, sagte Grantham schließlich. »Ich könnte nicht behaupten, dass wir gut miteinander bekannt sind.« Einen Moment lang klang er ganz untypisch wehmütig. Doch zur Erleichterung seiner Mitarbeiter fiel er sogleich in seine bissige Art zurück. »Aber eins weiß ich aus Erfahrung: Wenn diese Frau die Bildfläche betritt, lassen die Probleme nicht lange auf sich warten.«
4
Mykonos
Im Laufe der Jahre hatte Carver sich mehr Feinde als Freunde gemacht. Das brachte sein Beruf so mit sich. Wer sein Leben damit zubringt, Kriminelle, Terroristen und Psychopathen jeglicher Beschreibung zu beseitigen, wird unausweichlich den ein oder anderen Groll auf sich ziehen.
Carver war nicht sein wirklicher Name. Nachdem seine Mutter ihn als Säugling verlassen hatte, wurde er von zwei Eheleuten adoptiert, die ihn Paul nannten und ihm ihren Nachnamen gaben: Jackson. Seine berufliche Laufbahn begann er als Second Lieutenant bei den Royal Marines und wurde später für den Special Boat Service ausgewählt, die Elite innerhalb der Elite. Nach zwölf Jahren quittierte er den Dienst und träumte von einem friedlichen, normalen, bürgerlichen Leben, bis seine Verlobte auf der Straße überfahren wurde. Das warf Carver aus der Bahn, und häufig schlief er nach einer Schlägerei in einer Zelle seinen Rausch aus. In dieser Zeit bot ihm Quentin Trench, sein ehemaliger Vorgesetzter beim SBS einen Job an, für den er aufgrund seiner speziellen Ausbildung perfekt geeignet war.
Er wurde freiberuflicher Attentäter, und sein Hauptauftraggeber war eine Gruppe, die sich selbst als das Konsortium bezeichnete. Es bestand aus Männern, deren Reichtum und Einfluss es ihnen ermöglichte, für gewisse Dienste zu bezahlen, mit denen keine gewählte Regierung in Verbindung gebracht werden durfte: für die Beseitigung von Personen, deren Schuld längst zweifellos bewiesen war, ohne Rückgriff auf Richter oder Geschworene. Carver benutzte ausgeklügelte Methoden,durch die seine Anschläge wie Unfälle aussahen oder einem anderen Täter angelastet werden konnten.
Er war sehr gut in seinem Job und wurde entsprechend bezahlt, aber solange er noch einen Rest Menschlichkeit in sich hatte, machte es ihm unvermeidlich zu schaffen, dass er anderen Menschen das Leben nahm, egal wie schlecht sie sein mochten. Er versuchte sein Tun durch Aufrechnen zu rechtfertigen: die Vernichtung eines schuldbeladenen Lebens rettete viele Unschuldige. Diese Rationalisierung konnte jedoch seine seelische Erosion nicht aufhalten und auch seine innere Einsamkeit nicht lindern.
Und dann, während einer Augustnacht in Paris in einer Unterführung an der Seine, beging Carver eine Tat, für die es keine Rechtfertigung gab. Er war in eine Falle gelaufen und nahm schreckliche Rache an den Männern, die ihn getäuscht und verraten hatten. Dennoch wusch das den Fleck auf seinem Gewissen nicht weg, und sein Verlangen nach Wiedergutmachung wurde nicht gestillt.
Allerdings war das kein Thema, mit dem er sich gern befasste. Er betrachtete es als sinnlos, die Vergangenheit nachbessern zu wollen oder sich über die Zukunft den Kopf zu zerbrechen. Er lebte im Hier und Jetzt und sparte seine mentale Energie für Probleme auf, die er lösen konnte, wie zum Beispiel die zwei, mit denen er gerade konfrontiert war. Zuerst würde er jedoch mit den drei verbliebenen Killern fertigwerden müssen, die ihn durch die Straßen von Mykonos verfolgten. Und danach musste er schnellstmöglich von der Insel verschwinden.
Er hatte mit Gingers Tod nichts zu tun, und ein ordentlicher Anwalt würde hinsichtlich des Toten in der Gasse sicher erfolgreich mit Notwehr argumentieren können. Doch es war nicht absehbar, wie viel Druck man auf die Strafverfolgungsbehörden ausüben würde, mit einem Schuldigen aufzuwarten,damit die Touristen durch dessen Festnahme und Verurteilung beruhigt
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