Zarter Mond - Hawthorne, R: Zarter Mond - Dark Guardian - 03 Dark of the Moon
Prolog
D er Tod lauert zwischen den Schatten. Durch das schmale Fenster fällt spärliches Mondlicht in unser Gefängnis. Ich habe immer Trost darin gefunden, aber heute Nacht ist es Connor, der mir Mut zuspricht.
Ein paar Decken dienen uns als Lager auf dem harten Betonboden, eine der Wolldecken wärmt uns. Connor hat das Sweatshirt, das ich ihm mitgebracht habe, nicht angezogen, und so kann ich meine Finger über seine nackte Brust gleiten lassen.
»Hab keine Angst, Brittany.« Connors Stimme klingt sanft und zärtlich.
Aber wie könnte ich keine Angst haben? Uns beiden ist klar, dass wir morgen vielleicht sterben. Angesichts des drohenden Todes wird uns die Begrenztheit unseres Daseins schmerzlich bewusst. All die Dinge, die wir aufgeschoben haben, all die Dinge, zu denen uns bislang der Mut gefehlt hat, türmen sich plötzlich vor uns auf und erscheinen uns wie Träume, die möglicherweise niemals in Erfüllung gehen.
Connor hält mich in seinen Armen fest, seine warmen Lippen streifen meine Schläfen. Unter meiner Handfläche spüre ich den gleichmäßigen Schlag seines Herzens. Wie
kann sein Herz so ruhig sein, während meines wie ein eingesperrter Vogel im Käfig flattert?
Er lässt seine Lippen über meine Wange gleiten. Ich höre, wie er tief einatmet und meinen Geruch inhaliert. Ich presse mein Gesicht in seine Schulterbeuge und sauge seinen einzigartigen Duft in meine Lungen. Selbst hier, in diesem Gebäude, in dem wir gefangen gehalten werden, riecht er nach der freien Natur: nach Tannennadeln, Erde, süßem Nektar, frischem Laub. Er riecht nach all den Dingen, die ich liebe – und nach so viel mehr.
Ich habe so lange darauf gewartet, seine Hände zu spüren, wie sie langsam über meinen Rücken streichen und mich näher an seinen Körper ziehen. Ich will, dass dieser Augenblick niemals endet.
»Hab keine Angst«, flüstert er noch einmal.
Dann bricht das wilde Tier in seinem Inneren, das immer unter der Oberfläche lauert, hervor und verscheucht alle Sanftheit. Er küsst mich gierig, verzweifelt, als könnten wir mit unserer Wildheit die Ankunft unserer Feinde abwehren. Hungrig erwidere ich seinen Kuss. Ich will das Leben mit einer Leidenschaft auskosten, wie ich sie nie zuvor gekannt habe. Mir ist klar, dass wir uns unter normalen Umständen wahrscheinlich nicht auf diese Weise küssen und streicheln würden. Aber die Umstände sind nicht normal.
Man hat uns alles genommen – bis auf das brennende Verlangen, all die Erfahrungen zu machen, die uns bald versagt werden würden.
»Ich liebe dich, Brittany«, flüstert er.
Ein Schauer läuft durch meinen Körper. Mein Herz klopft so heftig in meiner Brust, dass ich Angst habe, es
könnte zerspringen. Mit seinen Worten hat er mir gegeben, wonach ich mich immer gesehnt habe, was ich jedoch absolut nicht verdiene.
Wird sich seine Liebe morgen in Hass verwandeln, wenn er herausfindet, dass ich ihn verraten habe?
1
Acht Tage zuvor
H eute war die große Nacht, auf die ich mein ganzes Leben lang gewartet habe. Das Erwachen, die erste Wandlung – der Verlust meiner Mond-Jungfräulichkeit.
Ein paar Minuten zuvor hatte ich sämtliche Kleidungsstücke abgelegt und zusammengefaltet. Jetzt saß ich auf einer kleinen Lichtung mitten im Wald, von hohen Bäumen umgeben. Ich hatte eine Gänsehaut. Es war Sommer. Juli. Aber unser verstecktes Refugium Wolford befindet sich in einem riesigen Nationalforst, der an Kanada grenzt. Nach Sonnenuntergang wird es hier immer schnell kühl.
Voller Ungeduld wartete ich. Nie hatte ich irgendetwas so sehr gewollt wie das hier. Nun, vielleicht abgesehen von einem Gefährten.
Aber ich ließ mir den Glauben nicht nehmen, dass nach dieser bedeutsamen Nacht, in der ich mich als ebenbürtig erweisen würde, der richtige Junge vortreten und mich zu seiner Gefährtin erklären würde.
Drei Tage zuvor hatte ich meinen siebzehnten Geburtstag gefeiert. Der erste Vollmond seit diesem Tag stieg nun am Nachthimmel auf. Wenn er seinen höchsten Punkt erreichte,
würde ich mich in ein prachtvolles Wesen verwandeln – in einen Wolf.
Tausendmal hatte ich es mir vorgestellt. Ich würde meine menschliche Hülle abstreifen und das freilegen, von dem ich schon immer wusste, dass es in meinem Inneren schlummerte. Ich wollte es so sehr. Obwohl ich schreckliche Angst haben sollte, verspürte ich keine Furcht. Mein Fell würde schwarzblau sein, genau wie mein Haar. Meine tiefblauen Augen würden so bleiben, wie sie waren. Im Frühsommer
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