Samurai 1: Der Weg des Kämpfers (German Edition)
noch gab, vorsichtig auf der Rah zu dem verhedderten Tau hinaus.
Er kam nur unendlich langsam voran, denn der Wind zerrte mit tausend unsichtbaren Händen an ihm. Er warf einen flüchtigen Blick nach unten, konnte seinen Vater aber kaum auf dem Achterdeck erkennen. Einen Augenblick lang bildete er sich ein, seinen Vater winken zu sehen.
»Pass auf!«, rief Ginsel warnend.
Jack hob den Kopf und sah den losen Flaschenzug direkt auf seinen Kopf zufliegen. Er warf sich zur Seite und konnte ihm ausweichen, verlor dafür aber den Halt und rutschte von der Rah ab.
Verzweifelt griff er im Stürzen nach einem Tau. Er rutschte mit den Händen an dem Tau entlang und der grobe Hanf schürfte ihm die Handflächen auf. Trotz der brennenden Schmerzen ließ er nicht los.
An dem Tau hängend schwang er im Sturm hin und her.
Meer, Schiff, Segel und Himmel umkreisten ihn.
»Ganz ruhig, ich habe dich!«, brüllte Ginsel durch den Wind.
Er zog Jack an dem Seil, das der Junge sich um den Bauch gebunden hatte, zur Rah hinauf, bis Jack die Stenge zu fassen bekam, die Beine darüberschwingen und sich aufrichten konnte. Jack brauchte eine Weile, bis er sich wieder beruhigt hatte. Er zog die Luft durch die Zähne, zwischen denen er immer noch Ginsels Messer hielt.
Sobald das schmerzhafte Brennen in seinen Händen nachgelassen hatte, begann er wieder quälend langsam die Rah entlangzukriechen. Endlich hing das verhedderte Tau direkt vor seinem Gesicht. Er nahm das Messer aus dem Mund und säbelte damit an dem wassergetränkten Tau herum. Leider war das Messer stumpf und es dauerte eine Weile, bis er die ersten Fasern durchtrennt hatte. Seine Finger waren steif gefroren, seine Handflächen klamm und vom Blut glitschig. Eine Bö drückte ihn zur Seite. Bei dem Versuch, das Gleichgewicht zu halten, ließ er versehentlich das Messer los.
»Nein!«, schrie er und streckte vergeblich die Hand danach aus.
Verzweifelt drehte er sich zu Ginsel um. »Ich konnte das Tau nur zur Hälfte durchschneiden. Was soll ich jetzt tun?«
Ginsel bedeutete ihm zurückzukommen, doch im selben Moment traf Jack ein so heftiger Windstoß, dass er hätte schwören mögen, das Schiff sei auf Grund gelaufen. Der gesamte Mast erzitterte und das Segel zerrte an den Seilen. Das von Jack angeschnittene Tau riss knirschend und das Segel entfaltete sich im Sturm mit einem ohrenbetäubenden Knall.
Das Schiff machte einen Satz nach vorn.
Ginsel und die anderen Matrosen schrien begeistert, als sich die Alexandria in den Wind drehte und die Brecher nicht mehr von der Seite über den Decks zusammenschlugen. Auch Jack freute sich über diese unerwartete Wendung zum Besseren.
Seine Freude währte allerdings nur kurz.
Das herunterkommende Segel hatte den Flaschenzug mit einem Ruck fest gegen den Mast gedrückt. Der Flaschenzug riss und flog wie ein Stein auf ihn zu. Diesmal konnte er nirgendwohin ausweichen.
»Spring!«, schrie Ginsel.
3
Die Wahl zwischen Pest und Cholera
Jack drückte sich von der Rah ab. Er duckte sich und der Flaschenzug flog über ihn weg.
Der Junge schwang in einem Bogen durch die Luft, während Ginsel das andere Ende der Halteleine umklammerte. Jack stieß mit der Takelage auf der anderen Seite des Vormasts zusammen, steckte den Arm zwischen den Tauen hindurch und hielt sich in Todesangst daran fest.
Der Flaschenzug fiel geradewegs auf Ginsel hinunter. Er verfehlte ihn knapp und traf stattdessen Sam, der unmittelbar hinter ihm stand. Der Matrose stürzte sich überschlagend ins Meer.
»Sam!«, schrie Jack erschrocken und kletterte hastig die Takelage hinunter.
Auf Deck angelangt, rannte er zur Reling, konnte aber nur hilflos mit ansehen, wie Sam sich gegen die riesigen Wellen wehrte, mehrmals verschwand und wieder auftauchte und zuletzt mit einem jämmerlichen Schrei endgültig hinuntergezogen wurde.
Fassungslos sah Jack den Bootsmann an, der zu ihm an die Reling getreten war.
»Dem kannst du nicht mehr helfen, Junge«, sagte der Bootsmann. »Du kannst morgen Früh um ihn trauern, wenn wir bis dahin noch leben.«
Die Verzweiflung auf Jacks Gesicht stimmte ihn ein wenig milder.
»Du hast deine Sache gut gemacht, Junge. Geh jetzt zu deinem Vater. Er ist zusammen mit dem Käpt’n in seiner Kabine.«
Jack eilte zum Niedergang, froh, dem tobenden Unwetter zu entkommen. Im Bauch des Schiffes wirkte der Sturm weniger bedrohlich und sein Geheul war nur noch gedämpft zu hören. Jack schlängelte sich zwischen den Mannschaftsquartieren hindurch
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