Samurai 4: Der Ring der Erde (German Edition)
den Stamm. Seine Begleiter unterdrückten ein Lachen.
»Ihr habt Euch doch nicht verletzt?«, fragte Soke mit gerunzelter Stirn.
Der Samurai sprang auf und klopfte wütend den Dreck von seiner Uniform. Beschämt über seine Ungeschicklichkeit, ließ er Soke links liegen und winkte seine Männer weiter. »Ich kriege diesen Gaijin, und wenn ich dabei draufgehe!«
Sobald der Trupp die Lichtung verlassen hatte, bedeutete Soke Jack und Hanzo, von ihrem Baum herunterzusteigen.
»Wenn der Fährtenleser sein Geschäft versteht, kommen sie bald wieder«, sagte er. »Außerdem suchen noch drei weitere Trupps nach dir.«
Jack sah ihn überrascht an, war aber sofort bereit, ihm zu glauben.
»Soll das heißen, ich komme überhaupt nicht mehr von hier weg?«
»Jeder Weg hat seine Pfütze. Du musst lernen, ihr auszuweichen.«
»Wie kann ich das, wenn ich nicht weiß, wo meine Verfolger sind?«
»Zum Glück weiß es jemand anders. Komm mit uns, wir führen dich durch das Gebirge.«
»Aber was wird Shonin sagen, Großvater?«, meldete sich Hanzo zu Wort.
»Vergiss nicht, dass ich Soke bin, Hanzo.«
Hanzos respektvollem Ton nach zu schließen, muss dieser Shonin eine sehr wichtige Person sein, dachte Jack.
»Außerdem ist unser Dorf der einzige Ort, an dem dein Tengu sicher ist«, fuhr Soke fort. »Und wenn wir ihm helfen, zeigt er dir dafür vielleicht, wie man mit dem Schwert kämpft.«
Jack nickte zustimmend. Er war auf die Hilfe des Alten und des Jungen angewiesen. Hanzo strahlte übers ganze Gesicht und hüpfte aufgeregt von einem Bein aufs andere.
»Aber du darfst nicht wissen, wo das Dorf liegt.« Soke zog ein Tuch aus den Falten seines Kimonos.
Jack sah ihn unschlüssig an. Wollte der Alte ihn hereinlegen? Wollte er ihn womöglich zum Shogun bringen und die Belohnung einstreichen?
»Du musst mir vertrauen«, sagte Soke.
Ganz gegen sein Gefühl ließ Jack sich von ihm die Augen verbinden.
6
Das Dorf
Jack wurde von Hanzo geführt. Er hatte keine Ahnung, wohin sie gingen. Trotz der Wahrnehmungsübungen im Unterricht bei Sensei Kano, seinem bojutsu- Lehrer, konnte er schon bald nicht mehr sagen, ob sie nach Norden, Süden, Osten oder Westen liefen, so viele Biegungen hatte der Weg. Während des Vormittags stiegen sie meist bergauf. Einige Male mussten sie sich auf Sokes Geheiß hinter Büschen oder auf Bäumen verstecken, bis eine Patrouille an ihnen vorbeigezogen war.
Gegen Mittag machten sie auf einem Bergkamm Rast und aßen Maulbeeren, Nüsse, Pilze und ein wenig von Jacks getrocknetem Reis.
»Wo kommt denn das Essen her?«, fragte Jack und steckte sich eine besonders saftige Maulbeere in den Mund. Soweit er sich erinnerte, hatte keiner der beiden eine Tasche dabeigehabt.
»Unsere Küche sind der Wald und die Wiesen«, antwortete Hanzo stolz.
»Ich bringe dem Jungen bei, wie man im Freien überlebt«, erklärte Soke. »Wie man Reis über einem Feuer kocht, giftige Beeren erkennt und Tiere in Fallen fängt.«
»Am meisten Spaß macht es, einen Menschen zu fangen«, fiel Hanzo ihm ins Wort. »Aber ich hätte nie gedacht, dass ich einen Tengu fange.«
»Ich bin kein Tengu«, wiederholte Jack jetzt schon zum x-ten Mal. Er wandte sich an Soke. »Muss ich diese Binde immer noch tragen?«
»Leider ja. Wo unser Dorf liegt, muss geheim bleiben.«
»Warum eigentlich?«
»Aufgrund unserer abgeschiedenen Lage sind wir von den meisten Unruhen verschont geblieben, die den Rest des Landes heimgesucht haben. Und das soll auch so bleiben. Wir müssen uns beeilen, damit wir noch vor Einbruch der Nacht ankommen.«
Sie folgten einem Bach in ein Tal hinab und stiegen an der gegenüberliegenden Seite wieder hinauf. Dann wanderten sie eine Zeit lang auf gleicher Höhe weiter. Jack wurde allmählich müde. Die Nacht, die er im Baum hängend und ohne Schlaf verbracht hatte, machte sich bemerkbar.
»Es ist nicht mehr weit«, versprach Soke, der trotz seines Alters nicht langsamer wurde. Als sie endlich anhielten, war die Sonne schon fast untergegangen.
»Willkommen in unserem Dorf.« Soke nahm Jack die Binde ab.
Jack blinzelte und rieb sich die Augen. Er stand auf einem von Bäumen gesäumten Bergrücken. Neben sich sah er einen schmucklosen buddhistischen Tempel mit einem kleinen Friedhof und einem Shinto-Schrein. Vor ihm breitete sich ein üppig bewachsenes Tal aus, in dessen Grund sich eine kleine Siedlung schmiegte. Die strohgedeckten Häuser lagen verstreut in einem Gewirr terrassenartig angelegter Reisfelder, das
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