Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
verantwortlich? Ich habe zwei Brüder verloren, rechtgläubige Katholiken, wohlgemerkt!“
Beklommene Stille. Keiner wagte, zu den Waffen zu greifen, um den Eklat nicht zu verschärfen. Doch etliche Franzosen sahen betreten zu Boden:
Die Geschichte, auf die der Ritter anspielte, hatte mit dem Verrat eines französischen Geistlichen begonnen, der sich nach dem Massaker von Béziers unvermittelt auf die Seite des Südens geschlagen hatte. Montfort hatte ihn in besagtem Ort aufgespürt, gefangengenommen, zur Abschreckung an den Schwanz seines Pferdes binden und so lange durch den Ort schleifen lassen, bis er tot war. Dann war der Befehl ergangen, allen Männern von Bram, mehr als hundert, die Augen herauszureißen und die Nasen abzuschneiden.
Montfort verteidigte sich nicht, verzog nur geringschätzig den Mund.
Dafür griff sich Amaury theatralisch ans Herz. „Oooh, alte Bosheit des Feindes!“, lamentierte er. „Nun zeigt sie ihr wahres Gesicht. Nach dem Decretum Gratiani besteht das Verbrechen des Ketzers darin, geistige Überheblichkeit an den Tag zu legen und die eigene Meinung der Meinung derjenigen vorzuziehen, die allein bevollmächtigt sind, sich zu Glaubensangelegenheiten unverfälscht zu äußern. Ihr habt einen Erzketzer in Euren Reihen, Graf Raymond“ - er deutete auf den vorlauten Ritter - „ja, Ihr selbst seid ein solcher!“
Raymond fühlte sich, als ob ihm gerade das Blut in den Adern gerönne, und in seinem Magen rumorte es, dass er befürchtete, sich im Beisein der Feinde gleich vor Schmerzen krümmen zu müssen. Wortlos nahm er Helm, Rüstung und Waffen auf, machte auf dem Absatz kehrt und verließ mit seinen Rittern das Zelt.
Peter von Courtenay und eine Handvoll anderer untadeliger Barone aus Montforts Heer liefen ihm noch nach, flehten ihn an, sich zu besinnen.
Doch umsonst. Das Band war endgültig zerschnitten.
5.
Als Leonora von Toulouse den Zustand sah, in dem sich die Kemenate ihrer Schwester befand, wich sie erschrocken zurück: Alle Truhen standen auf, Weißwäsche und Gewänder lagen verstreut am Boden und Petronilla deutete wortlos und mit vor Tränen schimmernden Augen auf die Scherben des kostbaren maurischen Alabasterkruges, den Sancha aus Zaragoza mitgebracht hatte.
„Um Himmels Willen, was ist geschehen?“, rief Leonora aus. Sie trat näher. Als sie das Häuflein Elend entdeckte, das zusammengerollt auf dem Bett lag, die Decke über den Kopf gezogen, nahm ihre Stimme eine angstvolle Zärtlichkeit an: „Meine arme Kleine, bist du krank? So antworte mir doch!“
„Miraval“, stieß Sancha gepresst hervor, ohne ihr Gesicht zu zeigen. „Er hat meine Perlen gestohlen! Jetzt weiß auch ich, was von ihm zu halten ist. Eingeschmeichelt hat er sich hier in im Schloss. Nach Toulouse zum Grafen nimm deinen Weg mein Lied, denn er ist so erhaben ... Hach, hat er nicht deinen Gemahl sogar einen Kaiser genannt?“
Leonora hörte, wie sie aufschluchzte.
„Schlau, nicht wahr?“, fuhr Sancha mit ihrer Tirade fort, „ganz und gar schändlich, und nun hat er sich wohl heimlich bei mir eingeschlichen und die Perlen ...“
„Aber Sancha“, rief Leonora mit jetzt dringlicher Stimme, denn sie war über die Maßen erschrocken, „hast du für diese Anschuldigung einen Zeugen?“
„Einen Zeugen? Den brauche ich nicht. Bei Gott, es ist so. Ich werde ihm seine Untat auf den Kopf zusagen.“
Mit diesen Worten schlug sie die Decke zurück, befahl Petronilla, die Mägde zu rufen und eilte auf bloßen Füßen wie ein junges Reh zum Gießfass und zum silbernen Becken hin, wo sie sich die verheulten Augen wusch und Gesicht und Hals ausgiebig mit Blütenöl betupfte. Dann nahm sie den Spiegel in die eine, den Kamm in die andere Hand und begann mit aufgeregten Strichen ihr Haar zu kämmen.
Die Gräfin, im Tasselmantel und mit Mantille - auf dem Weg zur Messe -, warf Petronilla einen fragenden Blick zu. Doch diese seufzte nur, hob die Schultern und ging auf den Gang hinaus, wo sie laut in die Hände klatschte.
Schon oft hatte Leonora überlegt, ob es nicht besser gewesen wäre, man hätte der Schwester eine Infantada ausgesetzt , eine Apanage für unverheiratete, wenig reizvolle Prinzessinnen, und sie in ein Kloster gesteckt. Sancha war bereits als Kind schwierig gewesen, aber seit ihrer Hochzeit bereitete sie allen nur Sorgen. Den einen Tag war sie umgänglich, den anderen lethargisch oder von einer seltsamen Schwärmerei umfangen, den dritten rach- und streitsüchtig, worauf sie sich
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