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Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)

Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)

Titel: Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Helene Luise Köppel
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Hasenherz. Sie durchschritt die Kammer und öffnete sachte die Verbindungstür, die in Sanchas Gemach führte. Diese war unverschlossen. Doch noch zwischen Tür und Angel – und auf wirklich alles vorbereitet – vernahm sie ein merkwürdiges Stöhnen und dann stockte ihr zum zweiten Mal an diesem Vormittag der Atem. Santa Senhora! Ihre Schwester, das eigenwillige Geschöpf, war nicht tot! Sie war sogar höchst lebendig, befand sich im Liebestaumel, schien die Welt um sich herum vergessen zu haben. Ihre langen, schlanken Beine umschlossen die Hüften des Troubadours, als wollten sie ihn und sein ... sein Schwert nie mehr loslassen.
    Hastig zog Leonora die Tür wieder zu und rannte wie getrieben aus der Dienstbotenkammer. Nun war alles klar: Sancha hatte die Damen und Mägde weggeschickt, um mit dem Sänger ... Leonora wagte das Unaussprechliche nicht einmal zu denken. Aber sie hatte es gesehen. Auf dem Weg in ihre eigenen Gemächer, wo sie sicherlich längst erwartet wurde, summte es in ihrem Kopf wie in einem Bienenstock. Wie lange trieb Sancha dieses Spiel schon? Und an welcher Krankheit litt sie eigentlich? An der Ungeduld? Der Hoffart? Der Lasterhaftigkeit? War der Vorfall mit dem Narren doch nicht so harmlos gewesen, wie sie geschworen hatte?
    Zibelda ist schuld, dachte Leonora verärgert, Zibelda!
    „Gott hat die Kammer der Venus zum Vergnügen der Männer erschaffen“, hatte die alte Amme vor sieben Jahren auch ihr, Leonora, vor der Hochzeit mit Raymond zugeflüstert, und ihr den Rat gegeben, die „Pforte“ stets sauber zu halten, keine Spinnweben dort stehen zu lassen, sondern die Härchen fleißig mit der Wurzel auszureißen, auf dass dort für alle Zeiten „kein Moos zu pflücken sei“. Solcher Art waren auch noch andere Ratschläge der Alten gewesen, die freilich ihre eigenen Worte Lügen strafte, indem sie ungeziert einen dunklen Oberlippenbart trug. Ja, Zibelda hatte die von Haus aus leichtfertige und dünnhäutige Sancha mit ihren zwielichtigen Ratschlägen verdorben.
    Leonora ließ sich den Mantel und die Mantille abnehmen und schickte ihre Damen wieder hinaus, um allein zu sein. Sie trat zum Pult mit dem silbernen Kruzifix, bekreuzigte sich. „ El nom del Payre e del Filh e del Sant Esperit ...“ Sie betete lange, demütig und gottgefällig, mit jedem Wort darauf hoffend, dass sich das schmutzige Bild, das sich in ihren Kopf eingenistet hatte, wieder verflüchtigte. Nach dem Amen stand ihr Entschluss fest: Sie würde mit niemandem, mit niemandem, darüber reden! Nicht einmal mit Pater Sola, ihrem Beichtvater. So wie sie schon einmal eisern geschwiegen hatte, in Zaragoza, im Castillo ihres Vaters. Nur Pedro hatte sie das große Geheimnis anvertraut, aber erst Jahre später, als das Ärgernis mit dem Narren begann. Da hatte sie es ihm erzählen müssen , denn es war der Abend gewesen, bevor er gekrönt wurde. Die Geschichte lag jedoch viel länger zurück:
    Acht oder neun Jahre alt war sie gewesen, als sie am helllichten Morgen, auf der Suche nach Zibelda, einen Mann im Gemach ihrer Mutter vorfand und zwar jenen hässlichen Gesandten aus Navarra, der Pedro und ihr am Abend zuvor prachtvolle hölzerne Vögel als Geschenk mitgebracht hatte. Beide, die Mutter und der Gesandte, waren nackt gewesen und hatten Leonora mit heftigen Worten hinausgeschickt.
    Später war die Mutter zu ihr gekommen, nun wieder ganz die Königin von Aragón, und hatte ihr einzureden versucht, sie hätte nur geträumt. „Vergiss ihn rasch, den bösen Traum, kleine Nora!“, hatte es geheißen, und die Mutter hatte ihr ein goldenes Armband mit Rubinen übergestreift, das jedoch viel zu weit gewesen war, so dass der Goldschmied gerufen werden musste. Vielleicht hätte sie, Leonora, den Vorfall tatsächlich irgendwann als Traum abgetan, wenn nicht neun Monde später Sancha zur Welt gekommen wäre und das Gesinde zu tuscheln begonnen hätte. Und in der Tat, je älter die Kleine geworden war, desto ähnlicher sah sie dem Navarresen.
    „Ach“ , seufzte Leonora wehmütig, „vielleicht ist ja das ganze Leben nur ein böser Traum!“ Sie trat ans hohe Zwillingsfenster ihres Gemachs und sah hinunter auf die Garonne und das quirlige Toulouse, das Raymond mehr liebte als alles andere auf der Welt. Mehr als sie, Leonora, mehr als seinen Sohn, mehr als den fünfundzwanzigsten Konsul, den Storch. Die Stadt seiner Väter. Leonoras Blick wanderte über die mächtigen Wach-, Tor- und Festungstürme, die starken Mauern, die in der Sonne
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