Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
Gutes empfangen von Gott, und sollten uns nicht auch mit dem Bösen abfinden? “
Dass seine Worte und sein Tonfall augenblicklich Miraval aufbrachten, erstaunte Sancha nicht, die beiden hatten schon unterwegs miteinander gestritten. Es gefiel ihr, dass sich Miraval von Sola nichts bieten ließ. Überhaupt sah ihr Geliebter recht wild aus mit dem von der Sonne verbrannten Gesicht und dem Bart, den er sich unterwegs hatte wachsen lassen. An diesem Eindruck änderte selbst der feine Rock aus Camelot nichts, den er heute trug.
„Nach Eurer Lesart ist es also der Wille des allmächtigen Gottes, dass die Franzosen unser Land und unsere Burgen stehlen?“, fragte er scharf.
„Nein, nein“, warf Sola erschrocken ein. „Fürwahr, Ihr habt mich missverstanden, Herr von Miraval!“
„Dann erklärt mir doch, Pater, was ist das für eine Welt, in der sich Christen einfach nehmen, was ihnen nicht gehört?“
Sola, der für gewöhnlich recht schnell den Sattel wechselte, weil er niemandem gern weh tat, bekam ein rotes Gesicht. Hilfeheischend blickte er auf den Ordenskaplan von Mozón, einen hochaufgeschossenen jungen Mann mit fleckigen Wangen und wässrigen Augen, die auffällig rot umrandet waren. Doch Bruder Robert reagierte nicht. Dafür beschwichtigte Cadeil. Er versuchte Miraval zu erklären, dass ein Fluch auf dem Menschengeschlecht liege. Man müsse sich dreinschicken, dass auch Unrecht geschehe.
„Aber hat man uns Christen nicht aufgefordert, Recht und Gerechtigkeit auf Erden zu schaffen?“, kam Sancha hitzig Miraval zu Hilfe. „Aus Unrecht entsteht niemals Recht - ex iniuria ius non oritur . Manchmal jedoch kommt es mir so vor, als dass das Recht nur noch für diejenigen Gültigkeit hat, die das meiste Gold besitzen und die stärkeren Waffen mit sich tragen.“
Zu ihrer Verblüffung schlug Sola ihr gegenüber einen noch schärferen Ton an: „Doch mit Verstocktheit, Ketzerei oder der Duldung ketzerischer Umtriebe häuft der Mensch nur selbst den Zorn auf den Tag des Zorns, der bald kommen wird, Gräfin.“
„Gemach“, der Komtur hob die Hand. „Versuchungen zum Unglauben gehen auch am Klerus nicht spurlos vorüber. Beispiele hierfür gibt es genug.“ Mit dieser Überleitung kam er auf eine Angelegenheit zu sprechen, die, wie Sancha später meinte, dem Abend erst die rechte Würze verlieh. Er entließ seine Ritter, behielt nur den Ordenskaplan bei sich. „Es ist wohl des Ritters Art und Stand, auf Erden zu streiten“, meinte er, als sie unter sich waren, „und wenn der Graf von Montfort kein begehrliches Auge auf Toulouse geworfen hätte, würden wohl viele Barone an seinen Fähigkeiten zweifeln. Doch gibt es für eine Handvoll Kreuzfahrer noch andere Gründe, Toulouse an sich zu reißen. Und darüber möchte ich gerne mit Euch sprechen.“
Leonora stellte überrascht den Becher mit Wein ab. „Was meint Ihr damit, Komtur?“
„Das würde mich auch brennend interessieren“, drängte Sancha.
Der Tempelritter nickte. „Die Geschichte, die ich Euch erzählen will, nahm ihren Anfang mit einem eigenwilligen Fürstbischof, der nicht nach dem Wort unseres HERRN handelte, das da heißt: Gehe hin, verkaufe, was du hast, und gib`s den Armen , sondern im Gegenteil alles an sich raffte, was ihm ins Auge sprang. Vor zwei Jahren, bei der Belagerung von Béziers, verschwand er spurlos, unter Zurücklassung all seiner Güter. Mit ihm verschwunden ist ein sogenannter Marrane, wie man jene konvertierten Mauren oder auch Juden heißt, die insgeheim weiter ihrem Glauben anhängen. Vermutlich hat ihn dieser Mann aus niedrigem Beweggrund getötet. Und weil ...“
„Bei Gott! Ihr redet von Bartomeu von Cahors und seinem maurischen Diener?“, platzte es aus Sancha heraus. Sie richtete sich ein Stück auf.
„Ihr kennt seine Geschichte?“ Mit seiner von Sommersprossen übersäten, kräftigen Hand strich sich Cadeil erstaunt über den Bart. „Dann wisst Ihr sicherlich auch, dass Bartomeu von Cahors einen kleinen Sohn hinterlassen hat?“
Sancha und Leonora verneinten.
„Ist Alix von Montpellier die Mutter des Knaben?", fragte Leonora. "Sie ist eine Stiefschwester unserer Schwägerin, der Königin Marie, und lebte meines Wissens eine Zeitlang in Cahors, am Hofe jenes Bartomeu.“
Der Komtur nickte. „Der Junge ist inzwischen acht oder neun Jahre alt. Er absolviert ein Noviziat. Und es heißt über ihn, er hüte unwissentlich ein Geheimnis, das ihn, sofern er es eines Tages verstünde, selbst über Könige und
Weitere Kostenlose Bücher