Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
oder wenigstens in seiner Nähe bleiben zu dürfen. „Wenn Gott auf unserer Seite steht, sehen wir uns im nächsten Frühling wieder.“
Wenn Gott auf der Seite der Raymonds stand?! Wenn!
Sancha hatte so ihre Zweifel.
Zwei Wochen später machte der kleine, schwer bewaffnete Zug Rast auf Mozón, einer mächtigen Burg, die bereits in Aragón lag. Auf glücklichen Wegen waren sie über Sent Gaudenç durch das gebirgige Bigorre geritten, bevor sie ohne größere Zwischenfälle den Venasque-Pass überquerten. Einzig in der Burg von Ainsa hatten sie drei Tage Rast einlegen müssen, weil Pastor Sola wundgeritten war. Nun trugen die Pferde erstmals wieder die rot-gelb-gestreiften Schabracken des Königs.
Monzón mit seinen fünf mächtigen Türmen - die Quadersteine auf blankem Fels errichtet -, beherbergte eine der wichtigsten Komtureien der Tempelritter, das Hauptquartier des Ordens in Aragón. Zur Burg gehörte eine Domäne von fast dreißig Dörfern und Kirchen. Es ging bereits auf den Abend zu und der Himmel war mit Dunstschleiern überzogen, als sie den steilen Berg hinaufritten. Allesamt waren sie in Schweiß gebadet, selbst die Rösser und Maultiere.
In einem der Türme, der für reisende Pilger vorgesehen war, wies man ihnen karge, aber saubere Kammern zu. Dienende Brüder, unter ihnen auch maurische Sklaven, brachten Wasser, gebleichtes Linnen, sowie Datteln und kühlen Wein zur Erfrischung. Und weil es sich bei Leonora und Sancha um die Schwestern des Königs handelte, lud der Komtur, Wilhelm von Cadeil, sie und ihre engsten Begleiter in seinen persönlichen Speisesaal ein.
Der große Raum besaß eine gewölbte Holzdecke und an einer der Wände hing der Beauseant, die Ordensfahne, halb schwarz, halb weiß. Im übrigen war der Raum so kühl und schlicht wie die Schlafkammern oder auch die Komtureikapelle - wo sie vor dem Mahl Gott für den glücklichen Reiseverlauf gedankt hatten. Leintücher waren aufgelegt und Kerzen standen auf dem langen Tisch.
Sancha stellte erleichtert fest, dass es auf Monzón keine Brotscheiben als Tellerersatz gab, wie dies auf den kleineren Burgen unterwegs der Fall gewesen war. Die "armen Ritter des Salomonischen Tempels" besaßen bei aller Schlichtheit feinstes Silber, und dieses schimmerte, als ob es täglich geputzt würde. Obst, Nüsse, Datteln, Oliven und Mandeln standen auf dem Tisch. Dienende warteten mit Wein auf, andere trugen Schüsseln mit dampfender Getreidesuppe herein. Es folgten Pasteten, gedünstete Äpfel und Kirschen, sowie Meerbrassen, die der Koch wie zu einem Schaugepränge aufgeputzt hatte. Das knusprige Mandelgebäck mundete besonders gut.
Hatte sich Sancha zu Beginn des Festmahls noch wie zerschlagen gefühlt, ging es ihr jetzt wieder besser. Dennoch war sie froh, dass die Reise bald ein Ende hatte. In Zaragoza, davon schwärmte sie seit Tagen, würde sie lange im Alfama liegen und sich von Zibelda verwöhnen lassen. Bei Gott, ja, das wollte sie tun!
Ihr Blick fiel auf Leonora, deren erschöpfte Blässe aber auch auf die weiße Cotte zurückzuführen war, die sie unter dem Surcot aus blauem Zindeltaft trug. Leonora hatte nie begriffen, dass ihr die Farben der Gottesmutter nicht zu Gesicht standen.
Sie, Sancha, trug gern tannengrün, eine Farbe, die sie, nach Hagelsteins Meinung geheimnisvoll aussehen ließ. Als einzigen Schmuck hatte sie heute ihren breiten maurischen Gürtel aus dünnen Gold- und Silberplättchen angelegt, und die gute Petronilla hatte ihr das vom Waschen noch leicht feuchte Haar geflochten und züchtig – wie es sich in Aragón geziemte - mit Schapel und Schleier bedeckt.
Dass die Tafelgesellschaft auf die gefährliche Lage zu sprechen kam, in der sich Toulouse befand, blieb nicht aus. Wilhelm von Cadeil, ein nobler Mittfünfziger mit schmalem Gesicht und eisgrauem Bart, wandte sich an Leonora: „Wir sind ernsthaft betrübt über die große Gewalttätigkeit des christlichen Kreuzfahrerheeres, Gräfin, das, wie man hört, offenbar nicht gewillt ist, zwischen Rechtgläubigen und Ketzern zu unterscheiden, und nun sogar die Ländereien und die Stadt Eures Gemahls bedroht.“
Dankbar für die mitfühlenden Worte neigte Leonora das Haupt. „Nie haben wir uns gegen die Heilige Mutter Kirche gestellt, und sollen dennoch Schaden nehmen?“
Pastor Sola - inzwischen weit genug entfernt von Raymonds „ketzerischem Hof“ – schlug indes andere Töne an. Er bezog sich offenbar auf Hiob und hielt Leonora salbungsvoll vor: „ Haben wir
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