Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
Saint-Polycarpe stand still. Einzig eine dünne Rauchsäule stieg irgendwo nach oben in den Himmel. Kerzengerade.
Nach Einbruch der Dunkelheit machten sie sich auf den Weg nach Dérouca. Olivier hatte Damians Vorschlag nach einigem Zögern angenommen, nicht zuletzt, weil das Gut in der Nähe von Carcassonne lag. Vielleicht, so seine Hoffnung, ergab sich von dort aus eine günstige Gelegenheit, den Vater aus dem Loch zu befreien.
Sie marschierten nur nachts, im Mondschein und auf abgelegenen Wegen. Tagsüber versteckten sie sich in alten Cortals, zerfallenden Scheunen oder Heuschobern. Einmal brachen sie in ein Bauernhaus ein, wo sie sich in der Brotkammer über alles Essbare hermachten, das dort zu finden war.
„Wo wart Ihr nur so la-hange, Graf“, nörgelte Amaury, als Montfort zwei Tage später das weiße Zelt des geistlichen Heerführers betrat, um die Beichte hinter sich zu bringen. „Es ist uns bereits zu Ohren gekommen, dass Euch der Junge entwischt ist“, nölte die Biene weiter. „Konntet Ihr seine Spur wieder aufnehmen?“
Bischof Fulco, der sich ebenfalls im Zelt aufhielt, blieb stumm, sah ihn jedoch lauernd von der Seite an.
Montfort zuckte die Achseln. Er nahm Umhang, Helm und Goufe ab, übergab die Kleidungsstücke seinen Knappen und schickte sie nach draußen. Er war müde und erschöpft. Er wusste, er stank. Einen Kübel mit heißem Wasser hätte er jetzt brauchen können, einen Krug mit Wein - alles, nur keinen singenden Abt und keinen bischöflichen Besteller. Auf dem Rückweg - nachdem sie einen halben Tag lang nach dem entsprungenen Jungen und seinem Freund gesucht hatten - waren ihm erste Zweifel an seinem Vorgehen gekommen. Reichten die Beweise aus, dass das Kloster verseucht gewesen war?
Einmal mehr hatte er auch an Elize und seine eigenen Kinder gedacht und sich sogar ernsthaft gefragt, weshalb er sich überhaupt für diese Aufgabe hatte breitschlagen lassen. Was ging ihn dieser Junge an! Und warum war er immer weniger in der Lage, auf seinen Verstand und sein Herz zu hören? War das wilde Tier in seinem Inneren dabei, die Oberhand zu gewinnen? Fand er allmählich Freude am Töten?
„Weshalb antwortet Ihr denn nicht, Graf von Montfort!“, wagte nun Fulco vorsichtig zu fragen. „Habt Ihr den Jungen nun gefunden oder nicht?“
„Bin ich ein Hund, dass ich in der Lage wäre, Spuren zu wittern?“, fuhr er den Bischof an. „Überdies sind es zwei, die geflohen sind.“
„Zwei? Aber wieso denn zwei?“, rief Amaury erstaunt. Er stemmte die kleinen Fäuste in die Hüften. „Wer ist der andere? Und was ist mit Boson, dem Abt geschehen? Es geht das Gerücht, nun, die Ritter, die vor Euch ankamen, erzählten, dass er ...“
„Boson war schon halbtot bei meiner Ankunft. Nun ist er tot. Er hat Ketzern Unterkunft und Schutz gewährt. Beim zweiten Flüchtling handelt es sich nämlich um den Sohn des Ramon von Termes. Ein hartes und rasches Durchgreifen war notwendig für die Sache Jesu Christi.“
Montfort – wie schnell und abgehackt er wieder gesprochen hatte! - beobachtete aus den Augenwinkeln heraus, wie die Prälaten blass wurden und sich Blicke zuwarfen. „Doch erst nachdem kein Mönch gewillt war, uns behilflich zu sein“, setzte er den Bericht fort, den er sich auf dem Ritt fein säuberlich, Wort für Wort, zurechtgelegt hatte, „noch sich uns zu unterwerfen und auf die hochheiligen Evangelien zu schwören, habe ich den Befehl erteilt, das Kloster niederzumachen. Und der HERR hat uns erneut große Gnade erwiesen: Niemand auf unserer Seite wurde verletzt. Auch ist mit der Auflösung dieses reichen Klosters die Versorgung unseres Heeres während der Belagerung von Toulouse gewährleistet. Schafe, Ziegen, Korn und andere Vorräte werden gerade in großer Zahl ins Lager geschafft. Selbstverständlich auch Pferde und Maulesel. Die Kirchenschätze - wertvolle Reliquien, darunter eine Phiole mit der Nabelschnur Christi, hat einstweilen mein Ritter Hugo von Lacy in Verwahrung. Es liegt nun in Eurem Ermessen, Ehrwürdiger Abt, die Kirchenschätze zu begutachten und zu entscheiden, wohin sie überführt werden sollen.“
Fulco und Amaury tauschten weitere Blicke aus.
„Gab es ... viele Tote auf Seiten des Klosters?“, fragte Amaury scheinheilig, nachdem Fulco auf seinen Wink hin das Zelt verlassen hatte.
„Nicht mehr als im Kloster Moissac ...“ Was hätte er, Montfort, auf diese Frage antworten sollen, sie wussten bereits alles. Er trat ans Betpult, umfasste das Kruzifix,
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