Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
„Patsch, patsch", ging es wieder, "patsch, patsch ...“
Langsam entfernte sich das Klatschen der Ruderblätter.
Aber fuhren sie tatsächlich weiter? Oder stellten sie ihm nur eine Falle? Olivier war sich nicht sicher.
Obwohl es ihm schwerfiel, verhielt er sich so, wie der Waffenmeister es sie gelehrt hatte: Er ging kein Risiko ein, steckte das Messer in den Gürtel, damit er es im Notfall zur Hand hatte, und wartete in aller Ruhe ab.
Als er bei Anbruch der Dämmerung aus der Mulde kroch, um ans Ufer zu klettern, war er ganz steif. Er taumelte, fror in seinem nassen Zeug. Dennoch überprüfte er als erstes und ohne Hast gewissenhaft seine Umgebung. Er ging dazu in Deckung, schaute nach rechts und links. Auf dem Fluss war alles ruhig. Das Gesindel war weg. Dennoch verspürte Olivier keine Erleichterung. Wer konnte schon sagen, wie es eine Flussbiegung weiter vorne aussah? Vielleicht waren sie ihm noch immer auf den Fersen. Nicht ihm natürlich. Damian!
Wenn er nur wüsste, wo genau er sich befand? Auf dem Weg nach Muret, zum Lager Montforts? Dann galt es flussabwärts zu laufen, wenn er nach Toulouse zurückwollte. Warum fühlte er sich bloß so schwach? So komisch, schwindlig? Er betrachtete seine vom Wasser aufgequollenen Hände. Sie waren absolut gefühllos, nur der verletzte Daumen hämmerte und schmerzte. Der Schnitt sah böse aus, klaffte weit auseinander. Ob er viel Blut verloren hatte? Er erinnerte sich an die Augenbinde, die in seinem Wams steckte, zog sie heraus und wickelte sie sich um den Daumen. Weil ihm noch immer schwindlig war, atmete er ein paar Mal tief ein und aus und machte einige wacklige Kniebeugen. Nur gut, dass ihn niemand sah. Er fühlte sich so alt wie Methusalem.
Dennoch überprüfte er ein letztes Mal aufmerksam seine Umgebung. Wie eine bleierne Schlange glitt die Garonne dahin. Kein Boot weit und breit. Das Röhricht wiegte sich im Wind. Ein Silberreiher kam angeflogen und landete mit eingezogenem Hals auf dem Wasser, direkt bei den Binsen. Der Vogel beachtete den Knappen nicht, der wie angewachsen am Ufer stand und ihn anstarrte. Und mit einem Mal tauchte das erste Sonnenrot des Tages den Reiher in ein rosenfarbenes Licht. Olivier meinte, nie etwas Schöneres gesehen zu haben. Er wischte sich ein Körnchen Staub aus den Augen. Je nun, nicht, dass er geweint hätte!
Das leichte Missbehagen, das Sancha beim Erscheinen der Tempelritter erfasst hatte, wich der Bestürzung, als es später hieß, der Knappe Olivier sei verschwunden. Sein Schild lag verlassen auf der Estrade. Ein Becher kollerte herum, der auffällig nach Wein roch. Sofort kamen die widersprüchlichsten Gerüchte auf: Der Knappe sei betrunken gewesen und umgekippt. Einer anderer wollte gesehen haben, wie die Juden ihn fortgeschafft hätten. Die Suche, an der sich auch Damian beteiligte, begann noch in der Nacht. Irgendwann berichteten die Wachleute am Brückentor von einem mit Fässern beladenen Kahn, der einen Sack Getreide eingeladen und dann in der Dunkelheit flussaufwärts gefahren sei. Noch nie sei ihm ein Knappe verloren gegangen, meinte daraufhin Raymond beunruhigt und schickte sofort einen Trupp Soldaten los.
Um die Mittagszeit des nächsten Tages entdeckten sie ihn, wie er auf dem alten Treidelpfad auf der gegenüberliegenden Flussseite herumturnte. Er hatte hohes Fieber.
19.
In der weiten Tiefebene des Garonnetals - nahe Muret - sollten am Fest der Heiligen Märtyrer Protus und Hyazinth die feindlichen Heere aufeinandertreffen.
Der Ort war klug gewählt, zumal die tolosanischen Fußtruppen und die städtische Miliz mit Schiffen über die Garonne zum Schlachtfeld gebracht werden konnten.
Nachdem Montfort Kenntnis vom genauen Aufzugsgebiet hatte, schickte er Reiter zu sämtlichen Baronen des Landes und bat um Unterstützung, denn er selbst brachte gerade einmal tausend Berittene, Knappen und Sergeanten zusammen. Seiner Frau Elize erteilte er den Auftrag, diejenigen Kreuzfahrer zu beknien, die sich in Carcassonne aufhielten, um sich aus dem Staub zu machen.
Der König von Aragón war mit großem Aufgebot von Huesca über die Pyrenäen hierher geeilt. Er hatte seine „Mainada“ - seinen Generalstab und seine Leibgarde - mitgebracht, sowie tausend Ritter, die zusammen mit den Heeren Raymonds und dessen Verbündeten mehrere tausend Reiter und ein Vielfaches an Fußsoldaten ergaben. Um seine Ritter auf den Kampf einzustimmen, hatte der König vor seinem Aufbruch eine temperamentvolle Rede gehalten:
„Mit
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