Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
sah, wie Leonora sich ein gequältes Lächeln abnötigte. „Du wirst doch nicht ernsthaft daran denken, dorthin zu reiten?“
„Nein, nein. Nicht ich, aber Hagelstein! Ich habe einen Plan ausgearbeitet. Der Zeitpunkt ist günstig.“
„Der Zeitpunkt ist günstig? Sprich doch nicht immer in Rätseln!“
„Nun, das Fest heute Abend, zu dem du die Templer geladen hast, dann der bevorstehende Vollmond. Wir müssen nur achtgeben, dass sie Falk nicht verfolgen. Alles muss geheimbleiben.“
„Und wie willst du das anfangen?“
„Wir bewirten sie reichlich, öffnen ein Fass vom guten Wein. Vom besten, den wir im Gewölbe haben. Bei Anbruch der Dunkelheit wird der Narr auftreten. Er bereitet schon alles vor. Keine Angst, Leonora“, Sancha lachte auf, „wir führen nicht wieder die komische Szene von Floire und Blancheflor auf, wie damals in Zaragoza. Falk wird ein, zwei Lieder singen, etwas vortragen und sich dann zurückziehen. Er nimmt sein Bündel und reitet in die Nacht hinaus.“
„Sie werden ihn vermissen, spätestens am nächsten Tag bei der Messe!“
„Wir sagen dem Gesinde, dass Falk in aller Eile in die Albèresberge ritt, um bei Vollmond Kräuter zu suchen. Hauptsache, er hat einen Vorsprung.“
Leonora hob streng die Brauen. „Nun, gut, wenn dein Gemahl deine Eigenmächtigkeiten in dieser Causa gut heißt, soll es auch mir recht sein.“
Der Wind rauschte in den alten Buchen, die die Einsiedelei umgaben. Sie banden die Rösser an einen Baum und betraten nacheinander die in den Fels geschlagene düstere Grotte. Hier war es angenehm kühl. Leonora übergab dem Eremiten ein mit Edelsteinen besetztes goldenes Kreuz mit breitem Fuß.
Thomas verbeugte sich. „Eine überaus wertvolle Dankesgabe“, sagte er und stellte das Kruzifix auf den Altar, wo die Steine im Kerzenlicht funkelten.
Der alterslose Mann, mit dem Sancha schon im Jahr zuvor Gespräche geführt hatte, besaß ein kantiges, wie aus Holz geschnittenes Gesicht. Das Auffälligste an ihm war jedoch sein dichtes weißes Haar, das ihm wie die Mähne eines Schimmels weit über den Rücken fiel. Er lief stets barfuß herum, selbst im Winter, und besaß nach eigener Aussage nur zwei härene Kutten, die er abwechselnd wusch und trug.
Sanchas Blick fiel auf das von der Decke baumelnde Krokodil - die Dankesgabe eines heimgekehrten Kreuzfahrers. Das Maul weit aufgesperrt, so dass man die scharfen Zähne sah, kam es ihr fast so furchterregend vor wie das geheime Götzenbild, das sich in einem Versteck unweit der Klause befand. Thomas` Vorgänger hatte es in einer kleinen Höhle entdeckt, oberhalb der Stelle, wo die Quelle aus dem Fels brach; und als sie, Sancha, einmal ohne Leonora hier gewesen war, hatte Thomas ihr die Figur gezeigt.
„Die Götzin ist heilig, muss sich jedoch, obwohl sie ältere Rechte hat, vor Jesus und dem süßen Antlitz seiner Mutter verbergen“, hatte Thomas verschmitzt gemeint.
Sancha hatte sich beim Anblick der kleinen Steinfigur mit dem wilden Gesicht, den nackten, vollen Brüsten, dem dicken Bauch und den ausladenden Hüften erschrocken. „Bei Gott, sie ist mir ein Gräuel“, hatte sie gesagt und den Einsiedler beschworen, die Götzin bei Nacht ins Meer zu werfen.
„Das wage ich nicht, Doña Sancha“, hatte ihr Thomas leise zur Antwort gegeben, „denn sie gilt von Alters her als Trösterin der Unfruchtbaren. Die Frauen von Collioure und den umliegenden Weilern suchen sie noch heute auf. Oft heimlich und in der Nacht, wenn sie glauben, ich höre sie nicht. Denn fast jeden Morgen liegen Blumen neben der Quelle. Wer bin ich, Gräfin, dass ich den Frauen ihren Trost nehme?"
Mit diesen Worten hatte Thomas ihr das Steinerne Abbild in die Hand gedrückt und sie aufgefordert, es zurück in die Höhle zu legen. Nur widerstrebend war sie seinem Wunsch nachgekommen, denn der kalte Stein hatte wie Feuer in ihrer Hand gebrannt ...
Während der Eremit vorne am Altar schaurig-schön sang, dachte Sancha bei sich, dass im Grunde alles auf dasselbe hinauslief. Ein ausgestopftes Krokodil als Dankesgabe - oder ein mit Juwelen besetztes Kruzifix, was tat es schon? Das süße Antlitz der Muttergottes – oder die Abgöttin aus Stein, ja, was tat es schon? Beide galten als Trösterinnen. Der Unfruchtbaren! Zu denen auch sie gehörte. Deine Zeit wird kommen, Sanchie , hatte ihr die Götzin seinerzeit zugeflüstert - mit Miravals Stimme! Doch sie hatte wieder nicht empfangen, obwohl sie mit Ro ç in Collioure sogar zweimal vereint
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