Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
sich der Katharer-Kreuzzug zuerst gegen den Vizegrafen Trencavel richten würde - auf dessen Ländereien sich auch Saint-Polycarpe befindet -, konnte ich für die Sicherheit der Reliquie nicht länger bürgen.
Doch was Wunder - im Augenblick meiner größten Sorge brachte dich dein Vater Bartomeu, der Fürstbischof von Cahors, zu mir. Und du trugst das goldene Rad um den Hals, das ich längst kannte, denn es befand sich vormals im Besitz deines Großvaters Wilhelm, den ich sehr schätzte und mit dem ich seinerzeit das „Zelt Gottes bei den Menschen“ errichtet habe. Ich wusste sofort: Das Auftauchen des Rades war ein Zeichen von Gott! Ich weihte Bruder Paulus ein und unseren langjährigen Freund und Gönner, den Herrn von Pecaire. Heimlich fertigten wir ein Duplikat des Rades an, verschafften uns Zutritt zur Gruft, wo wir das Tor der Myrrhe öffneten und das Reliquiar deponierten. Die Truhe deines Großvaters ließen wir unbehelligt.
Für den Fall, dass mich der HERR abberuft, ohne dass du verständig genug bist, um alles zu erfahren, hinterlasse ich dir, Damian von Rocaberti, dieses Schreiben. Denn du, als zukünftiger Hüter des Tores, sollst die Zusammenhänge erfahren. Bruder Paulus wird nach meinem Tod Abt sein und dich zu diesem geheimen Ort führen, sobald du die letzte Prüfung abgelegt hast.
Crede mihi , warnte Boson am Schluss seines Briefes, c ucullus non facit monachum! Die Kutte macht nicht den Mönch aus! Ich lege Dir ans Herz, Damian, vertraue einzig Bruder Paulus! Er weiß, was mit dem Reliquiar und seinem Inhalt geschehen soll. Er kennt auch das Versprechen, das ich seinerzeit dem Bischof von Troyes gab: Die Heilige Reliquie soll erst dann wieder an die Öffentlichkeit gebracht werden, wenn die Macht der Tempelritter gebrochen ist, denn diese sind Ketzer und des Heiligtums nicht würdig!“
Beim Anblick der Reliquie war Sancha sofort klargeworden, dass sie vor einer Herausforderung standen. Der Abt und sein Stellvertreter waren tot, Wilhelm von Montpellier und Aniort von Pecaire ebenfalls. Wem sollten sie das Heiligtum anvertrauen?
Ein lautstarker Wortwechsel entwickelte sich, worauf Sancha sich genötigt sah, einzugreifen: „Man zählt die Küken nicht, bevor sie ausgebrütet sind. Hört also auf, euch in tausend Torheiten zu ergehen, beugt lieber eure Knie und betet. Wir befinden uns schließlich in einer Weihestätte!“
Sancha hatte ihre Anvertrauten gerügt – war aber selbst in Gedanken schon weitergegangen, als sie es je für für möglich gehalten hätte.
Während sie den Brief für Simon von Montfort aufsetzte, sorgten Hagelstein und die jungen Ritter für ein sicheres Versteck des Montpellier-Schatzes, denn Montfort – so er denn kam – war nicht zu trauen. Am Abend überzeugte sie sich selbst davon, dass der Inhalt der Truhe „wie vom Erdboden verschwunden“ war: In Tierhäute geschlagen und in Ledersäcke verpackt und diese mit dicken Hanfseilen verschnürt, baumelten Salomos Preziosen im Wasser der großen Zisterne. Das Sicherungsseil lief unsichtbar zwischen zwei schmalen Mauervorsprüngen nach oben und endete ungefähr vier Handbreit unterhalb des Wasserspiegels. Dort hatten sie es in einen zuvor ausgeschlagenen Mauerstein eingeklemmt.
„Wir lassen über Nacht die Tür zum Brunnenhaus offenstehen“, erklärte Olivier, „so dass sich auf dem Wasser eine Eisschicht bildet. Morgen früh schlagen wir dann ein kleines harmloses Loch für die Schöpfkelle ins Eis. “
„Und wenn in den nächsten Tagen Tauwetter einsetzt?“
Die Jungen beruhigten Sancha: Montfort, so er überhaupt das Brunnenhaus betrete, könne auch in diesem Fall weder das Seil noch die Säcke sehen.
Tags darauf ritten Hagelstein und Olivier gen Carcassonne. Damian und der Knecht hielten abwechselnd im Ausguck Wache. Sancha nutzte die Zeit, um sich ein Bild von Montfort zu machen. Eines stand fest: Ihn konnte sie nicht ohrfeigen, wenn er ihr frech kam. Auch Damian und Olivier – mochten sie ihn später als Faidits zur Hölle jagen - durften es ihm gegenüber nicht an Respekt fehlen lassen - gleich, was er ihnen und ihren Angehörigen angetan hatte.
Als Elize von Montfort von der Abendmesse zurückkehrte, wäre sie um ein Haar mit einem der Schreiber ihres Gemahls zusammengeprallt. Sie schickte die Damen auf die Kammern und betrat eiligen Fußes das große Gemach.
Simon saß in lockerer Haltung, aber mit noch immer geröteten Augen und triefender Nase auf seinem Scherenstuhl. Er trug nichts als
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