Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
dem Gesicht. „Das war ein Fehler, zugegeben. Allerdings müsst ihr wissen, dass sich jeder geschickte Arzt mit einem Nimbus umgibt. Die Kranken müssen an die Kräfte des Heilers glauben, auch wenn es sich nur um die der Natur handelt. Das hat selbst der Scharlatan Fritzo Rübsam gewusst.“
„Und Mätzli? Habt Ihr sie aufgegeben?“
Wieder sah der Narr zuerst auf Sancha. „Niemand weiß, was das Schicksal für einen bereithält“, sagte er kühl. „Ja, ich habe Mätzli aufgegeben, aber nicht vergessen.“
Sancha erhob sich. „Nun, wir alle hängen im Rad des Schicksals“ sagte sie leise. „Aber es wäre feige, deswegen nur auf ausgetretenen Wegen durchs Leben zu ziehen. Ich habe mir einen Plan zurechtgelegt. Doch zuvor versöhnt euch!“
Olivier und Damian reichten Hagelstein die Hand.
Der Boden war vorbereitet – und Sancha fackelte nicht lange herum.
11.
„Wir haben uns beraten, Doña Sancha“, sagte Damian am späten Nachmittag desselben Tages, „wir wollen Euch nach Kräften helfen und alles für Euch wagen. Schreibt also dem Grafen von Montfort nach Eurem Gutdünken.“
Sancha nickte. Ihre Erziehung griff. Sie hatte die beiden Querköpfe aufgerüttelt. Es war allerdings auch von Falk einiges zu verkraften gewesen, zumal er sichtlich um seine „Ziegenkönigin“ trauerte. Nun lag es an ihr, die ausgetretenen Pfade zu verlassen. Insgeheim fürchtete sie sich davor. Ein Fehltritt – sie konnte ja auch irren! - und es kostete sie ihr Ansehen, wenn nicht gar den Kopf. Gelang der Sprung, war Toulouse gerettet ...
Angefangen hatte alles mit jenem süßlich-bitteren Geruch in der Gruft. Beim Öffnen der beiden schlanken Tonkrüge, die die sonderbare Büste flankierten, waren goldbraune Harzbrocken zum Vorschein gekommen, unterschiedlich in Größe und Konsistenz.
„Weihrauch und Myrrhe“, hatte Damian gemeint. „Seltsam ...“
„Was soll daran seltsam sein? Eine Reminiszenz an die drei Weisen aus dem Morgenland. Die goldene Büste wird einen dieser Heiligen verkörpern. Die Augen sind aus Lapis, dem Stein der Könige.“
„Das meinte ich ja gerade, Herrin. Ich frage mich, weshalb ausgerechnet diese wertvolle Büste im Testament meines Großvaters keine Erwähnung fand? Was steckt dahinter?“
„Bei Gott, du hast recht, Junge!“ Sancha, bereits auf dem Weg nach oben, drehte sich noch einmal um. „Untersucht sie genauer, vielleicht gibt es ja eine Inschrift auf der Unterseite.“
Eine solche hatten sie nicht gefunden. Zu ihrer Überraschung jedoch ein am Boden eingraviertes Tatzenkreuz der Tempelritter, das auf Druck nachgab. Ein Geheimfach öffnete sich und es war jener Gegenstand zum Vorschein gekommen, nach dem offenbar die halbe Welt suchte: Eine überaus kostbare Reliquie. Die beiliegende Nachricht - aus dem Jahr des HERRN 1209 - war an Damian von Rocaberti gerichtet und stammte von keinem Geringeren, als von Boson, dem ehemaligen Abt von Saint-Polycarpe.
Als Damian den Zusammenhang begriff, packte er Olivier beim Arm. „Der Benediktiner!“, rief er. „Es war nicht Kobold-Pons, es war der Vater Abt!“ Nun mussten die beiden Farbe bekennen und sie erzählten, was sie beim Schmied erfahren hatten.
Bosons Schrift war nicht sehr leserlich, aber Damian gab sein Bestes.
Die „allerheiligste Reliquie“, wie der Abt den Gegenstand nannte, war von ihm selbst in die Gruft gebracht worden. Boson schrieb, sie hätte sich noch bis vor fünf Jahren in Konstantinopel und zwar in der Kirche der Heiligen Maria von Blachernai befunden. Aufgrund der Wirren anlässlich der Erstürmung der Stadt sei sie nach Athen gebracht worden. Dort hätten sich die Ritter des Salomonischen Tempels ihrer bemächtigt und - zum Schutz vor Motten und Würmern -, wie sich Boson ausdrückte, eine goldene Büste angefertigt.
„Motten und Würmern? Das kommt mir bekannt vor“, sagte Sancha.
„Das verbotene Thomas-Evangelium, Herrin, wo es um die Perle geht. Es scheint auch dem Vater Abt zugänglich gewesen zu sein.“
Nachdem er sich an die eigentümliche Schrift gewöhnt hatte, las Damian zügiger vor:
„Der Bischof von Troyes indes, der zum Hüter des Heiligtums ernannt worden war, widersetzte sich den Rittermönchen. Er brachte die Büste bei Nacht und Nebel außer Landes und bat mich, sie in meinem abseits gelegenen Kloster zu verwahren. Dieser Bitte habe ich entsprochen, wohl wissend, dass nicht nur die Ritter des Tempels fieberhaft nach der Reliquie suchten. Als jedoch damit zu rechnen war, dass
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