Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
prallgefüllten Lederschlauch am Brunnenrand ab, dann drehte er sich zu ihr um. „Verzeiht, Herrin“, lenkte er ein, während ihm das Nass noch immer aus den Haaren rann, "aber mein Vorschlag war ernst gemeint. Dem Richtschützen der Mangonellus fehlt seit Tagen ein guter Mann. Jemand, der ein scharfes Auge besitzt, gewissenhaft jede Feindbewegung beobachtet und meldet. Das ist wahrlich nichts für Hinz und Kunz. Meine Augen sind schlecht, obendrein muss ich mich auch um die Verletzten kümmern. Aber wie sieht es mit Euch aus? Die Gefahr hält sich in Grenzen; die Schleuder steht auf einer Plattform und ist ringsum durch wuchtige Aufbauten geschützt. Für feindliche Geschosse derzeit unerreichbar.“
In Sanchas Kopf überschlugen sich die Gedanken. Vergessen waren die Beleidigungen, die ja, das wusste sie, im Grunde keine waren. Vergessen war auch der Fehler, sich vor dieser Schlacht nicht rechtzeitig mit Leonora in Sicherheit gebracht zu haben. Aber nachdem Roç bei seiner Abreise nichts als Zuversicht verbreitet hatte, und dann mit Hunderten von provençalischen Rittern und Söldnern heimgekehrt war ... Sanchas Herz begann zu pochen. Sie dachte an Miraval, an seine Burg, die ihm Montfort abgenommen hatte. Vielleicht, wenn alles gutging ...
„So warte auf mich, du Ausgeburt der Hölle!“, rief sie Hagelstein zu und rannte in den Palast zurück, bereits an nichts anderes mehr denkend, als daran, dass ihr „scharfes Auge“ gebraucht wurde. Sie lachte fahrig auf. Hatte es nicht sogar eine Zeit gegeben, in der sie aus purer Langeweile oder aus welchem Grund auch immer, sich den Spiegel vor Augen hielt, um ihre Sehkraft zu stärken?
Ja, gewiss, sie würde dem Richtmeister helfen können!
Noch einmal lachte sie wie durchgedreht auf, als sie eine Truhe nach der anderen aufriss und darin herumwühlte.
Die Schwestern waren sich niemals ähnlicher gewesen als an diesem Tag, an dem es um das Schicksal und die Zukunft von Toulouse ging.
„Ich gehe mit dir und kümmere mich um die Verletzten“, beschloss zu Sanchas Überraschung Leonora, die es aufgrund ihres königlichen Geblüts vor Jahren noch als Erniedrigung angesehen hatte, gemeinsam mit Raymond in England Zuflucht zu nehmen. Sie entledigte sich des zarten Schleiertuchs und schlüpfte schneller aus dem seidenen Surcot, als sie für gewöhnlich nach der Messe Amen sagte. „Wir sind es unseren Gemahlen schuldig“, meinte sie ernst. „Geht Toulouse unter, so wollen auch wir untergehen.“
In fliegender Hast banden sich nun auch Gala, Petronilla und alle jüngeren Edeldamen, die sich im Palast aufhielten, schlichte Tücher um den Kopf und eilten, unerkannt von den Soldaten, die am Tor Wache standen, Hagelstein hinterher.
Am Morgen des Johannistages, nachdem die Verteidiger von Toulouse einen massiven Ausfall in Richtung der feindlichen Garnison gemacht hatten, kam es zwischen den Toren Montoulieu und Montgailhard zu einem schrecklichen Kampf, von dem niemand wusste, wie er ausgehen würde.
Mit allen verfügbaren Soldaten gingen die Tolosaner gegen diejenigen Stellungen der Kreuzfahrer vor, die außerhalb des Gebiets um das gräfliche Schloss lagen. Denn dieses selbst sollte nicht zerstört werden. Das Gefecht wurde immer heftiger und in beiden Lagern schlugen die Wurfgeschosse in dichter Folge ein.
Sancha kniete im Inneren der großen Schanzanlage und beobachtete fasziniert das Geschehen. Die Apokalypse – hier war sie! Aber obwohl ihr der Rücken schmerzte und die Augen ob des ständigen Qualms tränten, dachte sie nicht daran, vor Einbruch der Dunkelheit aufzugeben. „ Wenn es nur gelänge, den Franzosen etwas von ihrer Stoßkraft zu nehmen“, flüsterte sie. Plötzlich hörte sie Falk von oben schreien, wobei der Ruf nicht ihr, sondern den Beschickern der Mangonellus galt. Und schon vernahm sie das sehnige Knarren der gestrafften Seile. Der Arm der Schleuder hob sich, holte aus ...
Rummms! Eine riesige Staubwolke mitten im feindlichen Lager!
„Treffer – ein Rammbock!“, schrie Sancha hinaus, als sich der Staub verzogen hatte - und erntete laute Freudenschreie.
Meister Maury, der Hauptverantwortliche für die Mangonellus, ein agiler Mann aus Foix, befehligte drei fähige Soldaten, die sich mit der Bedienung dieser wertvollen Schleuder bestens auskannten. Hagelstein hatte sich mit ihnen angefreundet. Waren die Verletzten versorgt, verpflegte er Maury und die Beschicker, schleppte Steine für sie herbei und zog sogar, wenn es Not tat, auf
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