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Sanctus

Sanctus

Titel: Sanctus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Toyne
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sein Kammerherr nicht die Nerven für die komplexeren Pflichten ihres Ordens besaß. Deshalb trug Athanasius auch noch immer die braune Soutane der niederen Ränge und nicht das Dunkelgrün der geweihten Sancti. Dennoch war Athanasius so fromm und pflichtbewusst, dass der Abt bisweilen vergaß, dass der Mann nie das Geheimnis des Bergs kennengelernt hatte, oder dass ihm der größte Teil der Geschichte der Zitadelle unbekannt war.
    »Zum letzten Mal ist das Sakrament während des Ersten Weltkriegs in Gefahr geraten«, sagte der Abt und starrte in den Kamin, als stünde die Vergangenheit in der Glut geschrieben. »Ein Novize ist aus einem Fenster gesprungen und durch den Graben geschwommen. Deshalb hat man ihn auch trockengelegt. Glücklicherweise war dieser Novize noch nicht geweiht, weshalb er das Geheimnis unseres Ordens auch noch nicht kannte. Er hat es bis in die besetzten Gebiete Frankreichs geschafft, bevor es uns gelungen ist ... ihn einzuholen. Gott war mit uns. Als wir ihn schließlich fanden, hatte der Krieg uns die Arbeit bereits abgenommen.«
    Er blickte wieder zu Athanasius.
    »Aber das war eine andere Zeit. Damals hatte die Kirche noch viele Verbündete, und Schweigen ließ sich einfach kaufen. Geheimnisse wurden bewahrt. Heute schickt man mittels Internet Informationen binnen Sekunden um die ganze Welt und zu Milliarden von Menschen. Einen Vorfall wie damals können wir schlicht nicht mehr begrenzen. Deshalb dürfen wir auch nicht zulassen, dass so etwas passiert.«
    Er schaute wieder zum Fenster, das inzwischen vollständig von der Morgensonne erhellt wurde. Das Pfauenmotiv leuchtete blau und grün, ein archaisches Symbol für Christus und für die Unsterblichkeit.
    »Bruder Samuel kennt unser Geheimnis«, erklärte der Abt schlicht. »Er darf diesen Berg nicht verlassen.«

K APITEL 11
    Liv drückte die Klingel und wartete.
    Bei dem Haus handelte es sich um einen Neubau in Newark, ein paar Blocks hinter dem Baker Park und nicht weit von der Universität entfernt, wo der Herr des Hauses, Myron, als Laborant arbeitete. Niedrige Lattenzäune markierten die Grundstücksgrenzen, und zu jeder Tür in der Nachbarschaft führte ein gepflasterter Weg. Ein paar Fuß Gras trennten die Häuser von der Straße. Es war der Amerikanische Traum in Miniatur. Hätte Liv an einer anderen Art Story gearbeitet, sie hätte genau dieses Bild benutzt und etwas Rührendes daraus gemacht; aber deshalb war sie nicht hier.
    Liv hörte Geräusche im Haus, schwere Schritte auf einem rutschigen Fußboden, und sie bemühte sich, ein Gesicht aufzusetzen, das nichts von der vollkommenen Einsamkeit mehr vermittelte, die sie am See im Central Park empfunden hatte. Die Tür öffnete sich, und dahinter kam eine hübsche, hochschwangere junge Frau zum Vorschein, die fast den ganzen Flur ausfüllte.
    »Sie müssen Bonnie sein«, sagte Liv mit einer fröhlichen Stimme, die jemand anderem zu gehören schien. »Ich bin Liv Adamsen, vom Inquirer .«
    Bonnie strahlte. »Die Babyreporterin!« Sie riss die Tür weit auf und winkte Liv in den makellosen beigen Flur.
    Liv hatte zwar in ihrem ganzen Leben noch nie etwas über Babys geschrieben, aber sie ließ das auf sich beruhen. Stattdessen lächelte sie unbeirrt weiter, bis es in eine perfekt sortierte, kleine Küche ging, wo ein Mann mit frischem Gesicht gerade Kaffee kochte.
    »Myron, Liebling, das ist die Reporterin, die über die Geburt schreiben will.«
    Liv schüttelte dem Mann die Hand. Allmählich schmerzte ihr Gesicht vor lauter Lächeln. Sie wollte einfach nur nach Hause, sich in ihrem Bett verkriechen und heulen. Doch stattdessen schaute sie sich in dem Raum um und betrachtete die sorgfältig arrangierten Gegenstände: die Duftkerzen, die Rosenduft unter den Geruch des Kaffees mischten; die Flechtkörbe, die nichts als Luft enthielten – alles Dinge, die in Dreierpacks bei IKEA an der Kasse verkauft wurden.
    »Ein schönes Heim ...« Liv wusste, was von ihr erwartet wurde. Sie dachte an ihr eigenes Apartment, das vor Pflanzen fast schon platzte und ständig nach Ton roch. ›Eine Töpferei mit Bett‹ hatte ein Exfreund es mal genannt. Warum konnte sie nicht wie normale Leute leben und dabei glücklich und zufrieden sein? Liv schaute in den makellosen Garten hinaus, ein Grasquadrat umrahmt von Bäumen, die das Haus in zwei Sommern überragen würden, es sei denn, sie wurden regelmäßig und drastisch geschnitten. Zwei der Bäume verwelkten allerdings schon. Vielleicht würde die Natur

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