Sandor Marai
Leben mit seiner Eigenart und seinen Ansichten beschwert hätte;
Hertha war ihm sehr verwandt und unzweifelhaft jenes Weib, das ihm zugehörte.
Manchmal dachte er, er hätte um sie wissen müssen, auch wenn sie in einem
fremden Lande gelebt hätte und ihm nie begegnet wäre. Vielleicht hätte er sie
dann ewig gesucht, gerade sie. Solche romantischen Vorstellungen überkamen ihn
manchmal.
Nach der
Anfangseile ihrer Verlobung wäre eine baldige Hochzeit selbstverständlich gewesen.
Es währte aber länger als sechs Monate bis zur Trauung in der Kirche von Buda.
Dieses halbe Jahr verbrachte Hertha noch
bei ihren Eltern in Wien, und Christoph fuhr an jedem ersten und dritten
Samstag des Monats mit dem Wochenendschiff zu ihr hinauf. In seiner
Zeiteinteilung war er ein wenig pedantisch. Hertha mußte zur Kenntnis nehmen,
daß Christoph zu einem genau festgelegten Zeitpunkt eintraf, nicht früher und
nicht später. Auch wenn ihn eine heftige Sehnsucht nach ihr befiele, auch wenn
sie krank würde oder ein unerwartetes amtliches Ereignis ihm einen Urlaub
verschaffen würde, könnte dies nichts an dem festgelegten Termin ändern.
Hertha bat ihn, sie manchmal
anzurufen. Christoph jedoch, der in Geldangelegenheiten eher freigebig als
kleinlich war, hielt ein Ferngespräch für Verschwendung und rief sie nie an.
Bräutigam zu sein war für ihn eine sehr feierliche und ernste Angelegenheit.
Für ihn war das nahezu identisch mit einer neuen, mit Repräsentationskosten verbundenen
bürgerlichen Stellung – bei seiner Braut erschien er nie ohne großen
Blumenstrauß, und auch sonst überhäufte er sie mit Geschenken. Er kaufte ihr
auch einen wertvollen Diamantring, den Hertha mit selbstsicherem Lächeln,
jedoch ein wenig widerstrebend, an den Finger steckte und verwundert
betrachtete. Den Ring, aber auch die Bonbonnieren und Blumensträuße,
überreichte er ihr stets ernst und feierlich, als leiste er bei jeder
Gelegenheit wieder den Eid, seine ehelichen, menschlichen und staatsbürgerlichen
Pflichten erfüllen zu wollen. Hertha lachte ihm manchmal ins Gesicht,
verneigte sich tief vor ihm und sprach ihn mit seinem vollen amtlichen und akademischen
Titel an. Dann errötete er und stand demütig-korrekt und traurig vor ihr wie
einer, der weiß, daß der Spott berechtigt ist, und deshalb um Entschuldigung
bittet – aber doch nicht anders handeln kann.
Die Zeit ihrer Verlobung verging im
Zeichen eines ungeduldigen, bis in die Nacht hineinreichenden
Gesprächshungers. Es war dies die fieberhafte, entschlossen-aufrichtige
Offenbarung zweier Seelen – der Körper schien zu schweigen. Sie küßten
einander selten und unterließen es auch meist nach einigen ungeschickten und
linkischen Versuchen. Sie küßten einander wohl eher aus Pflichtgefühl, als gehörten
diese körperlichen Annäherungsversuche zu dem offiziellen Zustand, in den sie
durch die weltliche Ordnung versetzt worden waren. Die Stunde, sich auch
körperlich kennenzulernen, war noch nicht gekommen, und es war auch ungewiß,
ob die Eheschließung diesen Augenblick körperlicher Nähe sofort herbeiführen
würde. Man mußte aufeinander warten!
Christoph war Hertha gegenüber sehr
zurückhaltend – vielleicht lag diesem Verhalten durchaus nicht die
Enthaltsamkeit des vorbildlichen bürgerlichen Bräutigams zugrunde, der sich weigerte,
Vorschüsse auf das eheliche Glück einzufordern, sondern vielmehr eine
scheue, sehr aufrichtige, mit seinem Wesen übereinstimmende Keuschheit.
Hertha
verstand ihn und beruhigte ihn schweigend mit ihren Blicken und ihrem Benehmen.
Ja, sie verstand ihn und hegte ähnliche Gefühle. Sie nahmen jeder des anderen
Körper leidenschaftslos zur Kenntnis, führten aber eifrige Gespräche, in denen
Unruhe und Neugierde mitschwangen. Der Mut, mit dem Hertha sich jeder menschlichen,
weltlichen und metaphysischen Frage stellte, erschütterte Christoph. Sie
begnügte sich nicht mit Formeln und festgefügten Begriffen, sie setzte
Christoph erbarmungslos unter Druck, wollte alles wissen und in jedem dunklen
Winkel der Seele des Gefährten Klarheit schaffen, auch dort, wo Christoph sich
nicht umsehen wollte, weil ein Gespräch darüber sich nicht ziemte.
Nach den Wiener Ausflügen, diesen
vorschriftsmäßigen, mit Blumen ausgestatteten Besuchen, kehrte er oft
zähneklappernd und mit ermatteten Gliedern in seine Amts- und Alltagswelt
zurück, als hätte er galante Abenteuer bestanden und gegen die Moral der Welt
verstoßen. In verkaterter Stimmung setzte
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