Sandor Marai
Abenteuer, mit denen
sich seine Schulgenossen manchmal rühmten, gaben wohl doch kein getreues Bild
von Frauen. Christoph Kömüves hörte den prahlerischen Berichten über solch
unzüchtige Erlebnisse geduldig und aufmerksam zu, verspürte aber nie den
Wunsch, der Held solcher Abenteuer zu sein.
Er war schamhaft und blieb es auch
später, als er, gewissermaßen aus Höflichkeit, die Sexualität kennenlernte. Er
war schon erwachsen, hatte schon promoviert, empfand aber immer noch
Verlegenheit in weiblicher Gesellschaft. Er konnte bei unschuldigen Worten, die
auf das Geschlechtsleben anspielten, erröten und vermied selbst sorgsam
derartige Ausdrücke. Er fühlte sich auch nicht solidarisch mit jener offenherzigen
Schneidigkeit, die unter Männern so beliebt war, und es machte ihm wenig aus,
wenn man seine Prüderie bespöttelte oder seine Schamhaftigkeit bezweifelte. Er
lächelte nur gutmütig, als wollte er sagen: So ist die Welt! Dies ist die Art,
in der Männer über Frauen reden – zu meinem Bedauern bin ich aber damit nicht
einverstanden. Sein Lächeln entwaffnete die
Spötter. In weiblicher Gesellschaft aber blieb er immer schweigsam und ein
wenig ungeschickt. Die Frauen witterten diese keusche Ehrfurcht, und Kömüves
hatte das Gefühl, daß sie seine Gesellschaft eher mieden als suchten.
Hertha von
Wiesmayer sah ihn damals ein wenig ungeduldig an – warum redete er nicht, wie
es der gute Ton erforderte? Er aber schwieg, weil er Angst hatte. Es war nicht
gut, eine solche Angst zu haben – nein! Er verbeugte sich deshalb rasch,
murmelte einige bedauernde Worte und eilte mit schnellen Schritten dem Hotel
zu. Die junge Frau, daran gewöhnt, von Männern bewundert zu werden, war über
diese offensichtliche Flucht erschrocken. Später gestand sie ihm, daß sie
damals den Wunsch gehabt habe, ihm nachzueilen. Beide fühlten von Anfang an,
daß dieser Verlegenheit eine Bedeutung zukam.
Christoph ging in sein Zimmer und
blieb bis zum Abendessen dort, langsam nur wichen Verlegenheit und
Befangenheit. Er saß in dem dunklen Raum, fühlte sich schuldig und ärgerte
sich, daß er sich so ohne Ursache lächerlich und ungezogen benommen hatte.
Vielleicht war es überhaupt klüger, die Koffer zu packen und abzureisen? Aber
das war wohl absurd und kindisch! Er fühlte auch, daß das Wesentliche im Leben
oft nicht von Worten und Handlungen abhängt. Was war denn überhaupt geschehen?
Er war von einer jungen Frau angesprochen worden – war das ein Grund,
davonzulaufen? Bis zum Abendessen beruhigte er sich. Er
wunderte sich ein wenig, daß er dieses auffallend schöne Mädchen bisher noch
nie in dem kleinen Ort gesehen hatte. Er zuckte die Achseln, zog sich zum
Abendessen um und ging in den Speisesaal.
Sein erster Blick fiel auf die junge
Frau, die mit zwei älteren Damen an einem Tisch unmittelbar neben dem Eingang
saß, gerade seinem Tisch gegenüber. Nach dem Essen ging er zu ihr, stellte
sich vor und bat sie wegen seines Benehmens um Verzeihung. Hertha lächelte, und
dann gingen sie durch den Garten des Restaurants zum See hinab und spazierten
lange am Seeufer.
Genau konnte er sich später nicht
mehr daran erinnern, was sie gesprochen hatten, jedoch hatte Christoph damals
das Gefühl, zum erstenmal mit einem menschlichen Wesen Worte zu wechseln; ohne
Bedenken konnte er reden, so unmittelbar wie das Kind, das mit der Amme
spricht – mit jener Hingabe ohne Vorbehalt. Er suchte nicht nach Worten, wie
er dies sonst tat, er sprach nachlässig, es war alles schon längst abgefaßt in
ihm, nun konnte er es endlich einem Menschen mitteilen. Hertha warf kurze
Antworten dazwischen, nickte zustimmend wie jemand, der genauso denkt und lebt.
Mit der Sicherheit des eingeweihten Gefährten erkundigte sie sich nach
Einzelheiten; auch in ihren Gesten stimmten sie überein – wie Menschen, die
einander schon sehr lange kennen.
Diese Vertrautheit war erschreckend
wie ein Naturereignis.
Ab und zu schwiegen sie und sahen vor sich hin, als wollten sie feststellen,
was mit ihnen geschah. Zeitweise blieben sie stehen, und manchmal nahm er
einfach und fraglos ihren Arm, ohne jegliche verliebte Absicht, wie man einen
Verwandten beim Arm nimmt, den man länger nicht gesehen hat. An ihre Gefühle
rührten sie an diesem Abend nicht. Christoph erzählte von seiner Kindheit, von
seinem Beruf. Hertha sagte verwundert: »Richter!« Sie dehnte beim Sprechen die
Selbstlaute, als sänge sie. Ob es sich in Buda zu leben lohne, wann er,
Christoph,
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