Sandor Marai
wieder nach Hause fahre, wo Hertha den Herbst verbringe.
Im
Hotelzimmer sank Christoph sofort ins Bett und schlief erschöpft ein, mit dem
Gefühl, daß nun alles gut geworden sei – daß er endlich hatte sprechen können –
es war ein erleichterter, etwas schwindelerregender Seelenzustand –, und er
schlief tief und traumlos.
Nach drei Tagen hielt er um Herthas
Hand an. Man telegrafierte dem General nach Wien. Der Vater kam in jagender
Hast, in Zivil, schlecht gelaunt – verstimmt. Die Zeit verstimmte ihn wie die
meisten Menschen seiner Generation. Christophs Vater war an der Kränkung gestorben,
die der General trotzig erduldete. Er gehörte zu jenen Menschen, die kein Blatt
vor den Mund nehmen, war Mitglied einer rechtsextremen politischen Partei,
schimpfte lärmend über den Geist, die Einrichtungen und die Beamten der Republik und verbreitete jene von
Gewalt erfüllte Atmosphäre um sich, die geeignet ist, Kellner, Briefträger und
Eisenbahnschaffner stutzig zu machen. Christoph erkannte den General rasch,
blickte ihm ruhig in die Augen und wußte, daß er selbst der Stärkere war.
Das
tadellose Benehmen und das bescheidene, aber selbstsichere Auftreten des
jungen ungarischen Richters versetzten Wiesmayer während der ersten Tage in
Abwehrstimmung. Er redete sehr herablassend über die Ungarn, die zwar gute
Soldaten, im Zivilleben aber etwas eingebildet und untüchtig seien, und er
erzählte Kriegs-Anekdoten in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
Christoph hörte ihm höflich-reserviert zu. Gegen des Richters Person und
Herkunft konnte der General nichts einwenden, und als er um Herthas Hand
anhielt, gewährte sie ihm der Vater mürrisch, mit einer Stimme, die rauh vor
Erregung war.
Hertha war stärker als der General,
sie behandelte ihn höflich und gelassen, mit Überlegenheit und sehr geduldig.
Die Frau des Generals litt seit Jahren an klimakterischen Kopfschmerzen und
nahm am Familienleben nur teil, wenn sie sich zwischen zwei Anfällen ohne
kalten Umschlag aus ihrem verdunkelten Zimmer wagen konnte. In der ersten Zeit
kämpfte diese Frau mit einer heftigen, beinahe schwärmerischen Hingabe um
Christophs Zuneigung. Ihr Verhalten, das in all seiner Harmlosigkeit einer
verliebten Schwärmerei sehr ähnlich war, wandelte
sich nach der Heirat plötzlich in die Tonart der eifersüchtigen
Schwiegermutter. »Mama ist verliebt«, lächelte Hertha, »das ist deine
gefährlichste Eroberung! Sie ist in dem Alter, in dem der Mensch die
Hoffnungslosigkeit seiner Gefühle noch schwer erträgt. Mach ihr den Hof,
Christoph!«
Derlei Bemerkungen waren Christoph
äußerst peinlich. Hertha konnte über die schwierigsten und kompliziertesten
Dinge ruhig und lächelnd reden, sie nannte alles beim Namen – nicht mit derben,
aber mit gewählten und sehr genauen Worten. Sie sprach immer aus, worüber die
meisten Menschen, einer geheimen Vereinbarung zufolge, zu schweigen pflegten.
Eine Tochter hätte doch von ihrer Mutter nicht behaupten dürfen, daß sie in
den Schwiegersohn verliebt sei! Aber Hertha hatte keine Angst vor solchen
Aussagen, und beinahe überrascht stellte Christoph fest, daß Hertha gescheit
war. Natürlich hatte er niemals geglaubt, daß sie einfältig oder borniert sei,
aber diese energische und eigenwillige Klugheit hatte er nicht in ihr
vermutet. Es war ihm, als hätte er plötzlich irgendein körperliches Merkmal an
ihr entdeckt, das ihm bisher verborgen geblieben war, als hätte sich eine weiße
Locke in ihre schimmernden kastanienfarbenen Haarflechten geschlichen oder als
hätte die Farbe ihrer Augen gewechselt.
Manchmal beunruhigte ihn diese
Gescheitheit. Hertha verkehrte vom ersten Augenblick an mit ihm wie
jemand, der älter ist, wie jemand, der sein Wissen sehr vorsichtig und
pädagogisch wohlüberlegt dem Gefährten mitteilt. Sie hörte seine moralischen,
sozialen und politischen Betrachtungen mit wohlwollendem Ernst an, nickte
manchmal, als wollte sie sich mit Unabänderlichem abfinden, und lächelte
geduldig. Manchmal brauste Christoph auf und protestierte gegen dieses
Lächeln; gleichzeitig aber spürte er, daß sie für ihn einstand und mit diesem
Lächeln ihre Zustimmung gab, daß es nicht kecke Überlegenheit bedeutete,
sondern die Überlegenheit des praktischeren und wissenderen Gefährten.
Nun war die
Reihe an ihm, diese Überlegenheit zu ertragen. Ja, sicherlich mußte auch Hertha
ertragen werden, aber nicht wie irgendeine süße Last, auch nicht wie jemand,
der Kömüves’
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