Sandor Marai
den jahrhundertealten, mühsam instand gehaltenen Gassen
der Burg verbargen sich solche kleinen Einfamilienhäuser zwischen den Palästen
der Vornehmen. Unter diesen schindelgedeckten Spitzbogendächern lebten zumeist
die Abkömmlinge des aussterbenden handwerktreibenden Kleinbürgertums. Hinter
den geraniengeschmückten Fenstern wohnten die Beamten der nahe liegenden
Ministerien in Untermiete, und verarmte Familien, die mit einer bescheidenen
Pension auskommen mußten, zogen in diese vererbten unbequemen Wohnhäuser, oft
mehrere Familien zusammen. Sie alle bildeten die Bewohnerschaft dieses stillen
Viertels. Abgeschieden davon lebte die neue Bevölkerung. Ein verfeinertes,
reich gewordenes Bürgertum und Schriftsteller oder bildende Künstler, die sich
gegen das Zeitgemäße wehrten und in diesen Straßen ihr Verlangen nach Stil und
Tradition befriedigen wollten. Nebenbei ersehnten sie auch ein wenig die
Nachbarschaft der Vornehmen, die in erlesener Abgeschlossenheit in der Stille
hoch über der Stadt wohnten. Es galt als vornehm, in der Burg zu wohnen – auch
für jene, deren Väter vor hundert Jahren noch nicht Graf oder Schuhmacher in
der Burg gewesen waren. Es war ein feines, ein wenig gekünsteltes Dasein, in
das sich Trotz und Heimweh, Ansprüche und Ambitionen mischten, und es kam
beinahe einer Weltanschauung gleich, die, wenn auch widerstrebend und
vorsichtig, doch von allen geteilt wurde: von den Grafen, den in Untermiete
lebenden titelreichen Beamten, dem Kleinbürgertum, den vornehmen, zum Großteil
konvertierten Juden, die in ihrer Lebensweise unauffällig, aber vollkommen die
exzentrischen Palastinsassen nachahmten. Christoph kannte diese Viertel gut, er
ging jeden Morgen die Basteipromenade entlang, und die Kastanienbäume und das
Panorama des bürgerlichen Stadtteils, das sich in der Tiefe zwischen den
Basteien und Palästen mit feudaler Treue und Bescheidenheit zurückzog, waren
ihm altvertraut.
Christoph blieb an der Schwelle
stehen und schaute sich um. Mit kurzsichtigem Blick nahm er ein vertrautes Bild in sich auf –
das Zimmer, in dem ihm jedes Möbelstück so bekannt vorkam wie etwa dem Bauern
die Tracht seiner heimatlichen Gegend. Er sah das mit einem türkischen Tuch
bedeckte Klavier, die Stehlampe, die silberne Zigarettendose auf dem bosnischen
Tischchen, zwei Landschaftsbilder an der Wand – Wasserfall und Morgendämmerung
im Wald, beides Schularbeiten der Hausfrau –, den gestickten Ofenschirm, die
runden, mit weißer Häkelarbeit geschmückten Kirschholzsessel, den ovalen Tisch
aus Birnenholz und den sechsarmigen vergoldeten Lüster, der zwischen seinen
Armen den Adler des Empire liebend barg. Ja, dies war das Heim. Es gab Häuser,
in denen das Klavier fehlte, anderswo stand ein Pfeifenständer neben dem
Bücherschrank, aber überall hingen Familienbildnisse über dem Sekretär; nur
schlichen sich in letzter Zeit unter das Holicser Porzellan, das in den
Glasschränken prangte, farbige kunstgewerbliche Phantasieträume – ein
glänzendes Rehlein oder ein geheimnisvoll grinsender Bonzo-Hund.
Der Abend war unwahrscheinlich hell
und sommerlich. Der »Garten«, der aus einigen Bäumen, Sträuchern und einem
einzigen, sorgfältig in die Erde gepflanzten, von weißen Kieseln umgrenzten
Rosenstock bestand, war wohl irgendwann ein gepflasterter Hof gewesen, durch
einen Zaun und ein kleines grün angestrichenes Tor von der Basteipromenade
getrennt. Von den Stufen der Veranda konnte man über die Steinmauer des Gartens
hinweg die Budaer Berge sehen. Die Luft war geschwängert mit dem Duft der
Gärung: mit dem Mostgeruch überreifer Früchte und faulen Laubes.
Neben der Mauer entdeckte Christoph
seine Frau und seine Schwester im Schatten eines Nußbaums an einem
buntgedeckten runden Tischchen, und er begrüßte sie mit zerstreutem, aber
erleichtertem Lächeln. Herthas Antlitz leuchtete ihm freundlich und hell entgegen,
ihre Augen strahlten, die so wohlbekannte Gestalt wandte sich vertraulich der
Schwester zu, Hertha sagte etwas, und beide lachten. Sie lachen über mich,
dachte Christoph ohne Protest. Er wußte, daß er ein wenig unbeholfen, steif und
feierlich in der Tür der fremden Wohnung stand, und Hertha machte sich jetzt
sicher über diese Verlegenheit lustig. Aufgenommen in den Stromkreis bekannter
Menschen, lächelte nun auch er, blickte unschlüssig um sich, grüßte die Frau
des Hauses und erkannte seinen Bruder, der in Uniform, in sorgfältig gebügelten
Leinenhosen, neben der
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