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Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Nacht vor der Scheidung
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er sich an den Richtertisch – und war
besorgt. Was würde geschehen, wenn Hertha weiterhin so neugierig bliebe, ihn
zeit seines Lebens so richterlich befragen würde, und wenn sie weiterhin so beharrlich
darauf bestehen wollte, auch in die geheimgehaltenen Bezirke seiner Seele zu
leuchten? Manchmal erwähnte sie seinen Beruf
mit übertriebener Hochachtung, als wollte sie sagen: »Ich weiß, du bist der
Richter, der Unfehlbare – aber vergiß nicht, daß auch ich noch da bin, und ich
werde dir sehr auf die Finger sehen!« Was würde mit dem Richter geschehen,
wenn er all seine Gefühle und Ansichten dieser unerbittlich fordernden Seele
offenbaren mußte?
    Die ausgedehnten Gespräche fanden im
Gesellschaftszimmer der elterlichen Wohnung in Wien statt. Der Raum, den
gutbürgerlichen Salons seiner Heimat ähnlich, strahlte eine bescheidene und
erlesenere Atmosphäre aus als diese. Alles um Hertha war von solcher Art. Sie
stammten beide aus derselben Gesellschaftsklasse, waren mit denselben
Ansichten und Ansprüchen erzogen worden, und die Lebensart von Herthas Eltern
hatte den gleichen bescheiden-stolzen, amtlich-vornehmen Charakter wie die der
Kömüves. Und doch empfand Christoph in Herthas Art oft darüber hinaus einen
Klang, der ihm fremd war. Vielleicht war sie bescheidener und zugleich anspruchsvoller.
Vielleicht war die Lebenssubstanz dieses österreichischen Bürgertums nach anderen
Proportionen ausgerichtet. Sie hatten andere Maßstäbe für Konversation, für
Vergnügungen und Geselligkeit. Hertha erfreute sich auf andere Weise an einer
Blume – einer einzigen Blume –, sie griff anders nach allen Dingen und empfing
die Gaben des Tages mit demütiger Freude, immer war sie fröhlich bereit, den
Augenblick zu feiern: Die Art, wie sie sich ans
sonnenbeschienene Fenster stellte, wie sie der Musik zuhörte, wie sie freudig
ein körperliches Wohlgefühl – eine Speise bei Tisch, das Fallen eines
Regentropfens auf ihrer Haut – begrüßen konnte, war unmittelbarer und
selbstsicherer als die Art des Genießens, die er von seiner Heimat her gewohnt
war. Mit dröhnender Stimme disputierte der General, genau wie der General in
einem Lustspiel – dieser österreichische Offizier jedoch, der im Krieg
viertausend Männer aus strategisch nie vollkommen geklärten Gründen in den Tod
geschickt hatte, konnte tief versonnen dem Violinspiel Herthas lauschen, war
Mitglied des Wiener Tierschutzvereins, ging sonntags mit Rucksack und
Nagelschuhen in den Wienerwald und kehrte mit bunten Blumensträußchen beladen
von solchen Ausflügen heim.
    Nachdem die erste Abwehr überbrückt
war, schloß er Christoph bald ins Herz, nannte ihn »Christopherl« und suchte
mit kindischem Schmollen seine Gesellschaft wie ein eifersüchtiger Freund. Ja,
diesem Leben lag ein anderer Rhythmus zugrunde, der ein leichtes Schaudern in
Christoph hervorrufen konnte, so fremd war er ihm.
    Die Trauung fand in Buda statt, in
der Sakristei der alten Kirche. Der General stand in Kriegsparade hinter
Hertha und vergoß Tränen. Sie machten keine Hochzeitsreise, sondern blieben in
ihrer neuen Wohnung.
    Das erste
Kind, Esther, wurde am Ende des zweiten Jahres geboren, der Junge kam im dritten
Jahr. Seit der Geburt des zweiten Kindes waren nun sechs Jahre verstrichen.
Hertha war stets ruhig und heiter, und Christoph hatte das Gefühl, glücklich zu
sein. Oft dachte er, daß doch manchmal alles einfacher käme im Leben, als man
sich vorstellte. Auch Hertha war einfacher, als er angenommen hatte. Über die
täglichen Sorgen des Lebens und die kindlichen Forderungen der Kleinen hinweg
begegneten sie einander mit einem tiefen, nie erörterten frommen Gefühl, das
ihrer beider Wesen erfüllte. Manchmal nur grübelte Christoph über Herthas
religiöse Empfindungen, da er merkte, daß sie Andachtsübungen nicht sehr eifrig
nachkam, und er versuchte sich vorzustellen, was wohl Pater Norbert zu ihrem
Glauben gesagt hätte. Aber wenn er auch überzeugt war, daß Herthas Bekenntnis
nicht so formgebunden war wie das vieler anderer Menschen, glaubte er doch zu
wissen, daß der Pater es gutgeheißen hätte.

7
    Christoph kam spät in das Haus
seiner Gastgeber. Man hatte auf der Veranda gedeckt, und die Gäste saßen an
kleinen Tischchen. Ein Teil dieses Hauses war noch während der Türkenherrschaft
erbaut worden – der fremdartige Geruch war aus den Bogengewölben nie ganz zu
vertreiben, Fenster und Türen hatten ihre schlichte historische Eigenart
bewahrt. Hier oben in

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