Sandor Marai
dieser Gebärde
gelangt nicht bis zu den Händen. Auch sonst ist ihm ziemlich seltsam zumute.
Ein Satz fällt ihm ein: »Die Liebe endet nimmer.« Er hat ihn in der Bibel
gelesen und vor kurzem auf einem Grabstein. Er möchte ihn gern laut sagen, aber
etwas schnürt ihm den Hals zu. Es ist schon spät, vielleicht dämmert auch schon
der Morgen. Aber er ist jetzt wieder merkwürdig munter und aufmerksam und fühlt
sich auf einmal wie ausgeruht. Teddy stellt sich vor den Arzt, legt seine
Schnauze auf das Knie des Besuchers und starrt ihn mit einem fragenden Blick
an. Der Arzt streichelt den Kopf des Tieres. »Was kann ich über diese vier
Jahre noch erzählen?«
Er neigt sich zu dem Hund, als wollte er diesen befragen. »Es war doch wohl
alles unwürdig. Ohne Würde aber kann man nicht leben. Zumindest sie, Anna,
kann ohne Würde nicht leben. So ging sie fort.
Sechs Monate war sie auf Reisen. Der
Anwalt reichte die Scheidungsklage ein. Gestern rief sie mich an, doch nein,
vorgestern war es, ach ... die Zeit schwimmt mir zusammen – es war gegen Abend,
nach sechs Uhr. Sie sei nun angekommen! Ihre Stimme klang so fremd am Telefon.
Sie sei in einem Hotel abgestiegen. Ja, sie sei im Bilde, übermorgen vormittag
... Der Anwalt habe ihr bereits geschrieben. Dann schweigt sie am Telefon. Ich
habe sie seit sechs Monaten nicht gesehen. Was ist während dieser sechs Monate
mit ihr geschehen? Ich höre ihr Schweigen irgendwo in der Ferne, in der Stadt,
in einer Telefonkabine.
Dann sagt
sie, daß sie mit mir sprechen möchte. Und sehr rasch: Ich solle keine Angst
haben, es bleibe alles so, wie wir es besprochen hätten. Vielleicht sei es
zwar richtiger, vernünftiger, einander nicht zu begegnen, wir seien aber
bereits ziemlich lange vernünftig gewesen. Und da ich schweige: Sie sei sehr
müde. Vielleicht wolle ich zu ihr hinaufkommen. Sie wohne da und da im Hotel an
der Donau. Sie sagt mir die Zimmernummer und bittet mich, sie zu notieren, ich
müsse beim Portier den Namen nicht sagen. Das alles ist so sonderbar, so
fürchterlich fremd ... Daß ich zu Anna
hinaufgehen und meinen Namen nicht sagen soll! Und dann: Wir werden reden –
wovon denn? Was für ein Kleid wird sie anhaben? Wird sie dem Zimmerkellner
klingeln? Tee bestellen? Ist denn all dies nicht unaussprechlich widersinnig?
Ja, es ist so widersinnig, daß ich
in meiner Qual einen kichernd-winselnden Laut von mir gebe. Ich sehe es so
deutlich vor mir, wie ich, den Hut in der Hand, vor Anna stehe, wie sie mich
auffordert, bei ihr Platz zu nehmen. Vielleicht redet sie mir sogar zu, mich
wie zu Hause zu fühlen! Im Zimmer liegen ihre Kleider und Koffer herum,
wahrscheinlich auch dieser rote Lederkoffer, den ich noch vor anderthalb Jahren
in der Dorotheenstraße für sie gekauft habe. Vielleicht aber auch schon neue
Sachen. Vielleicht? Gewiß! Und ich fange an, mich vor diesen neuen Sachen zu
fürchten. Vielleicht hat sie auch bereits einen neuen Morgenrock. In diesen
sechs Monaten habe ich sie reichlich mit Geld versorgt, ich weiß, sie war lange
in einem Kurhaus in der Steiermark, dann ging sie nach Berlin zu einer
Bekannten. Es ist auch möglich, daß sie schon mit einem anderen Mann lebt. Das
wäre gut, denke ich.
In diesem Augenblick aber durchbohrt
mich ein scharfer Schmerz wie den ungenügend narkotisierten Körper, wenn das
Messer das Bauchfell berührt. Nein, es wäre nicht gut, diesen Schmerz erleben
zu müssen! Ich weiß nicht genau, wie der Mensch auf einen solchen Schmerz
reagiert. Vielleicht beginnt er mit Händen und Füßen um sich zu schlagen ...
Auch das ist möglich. Es ist klüger, wenn ich zu Hause bleibe, ich möchte diese
Begegnung überhaupt vermeiden. Ich hatte nie etwas übrig für Ehepaare, die
einander als Kameraden nach der Scheidung noch gemütlich begegnen, mitsammen zu
Abend essen, auf trautem Fuß stehen und gute Freunde bleiben. Ich will kein
guter Freund bleiben. Übermorgen mittag ist die Scheidung, ich kenne schon den
Namen des Richters, er war mein Schulkamerad, er wird die Scheidung
aussprechen. Nachher will ich Anna nie wieder sehen. Ich bin nicht großmütig.
Ich will nicht ihr Vertrauter, ihr wohlwollender Freund sein. Ich würde mich
freuen, wenn ich wüßte, daß sie sich nicht mehr in Europa befindet.
Ja,
vielleicht würde ich mich freuen, wenn ich wüßte, daß sie nicht mehr lebt. Wie
mögen diese Leute überhaupt geartet sein, die auch nachher noch gemütlich und
loyal-freundschaftlich miteinander verkehren können? Mich
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