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Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Nacht vor der Scheidung
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meinen Armen hielt.
    Sie liebte
mich auf ihre Art, aber sie war an dich gebunden. So etwas hält man nicht für möglich –
auch ich konnte es nicht glauben ... Vielleicht glaube ich es auch heute noch
nicht. Ich brauche den Gegenbeweis, und deswegen bin ich hier. Jetzt hat es
keinen praktischen Wert mehr, Anna ist doch gestorben ... Ja, ich ließ sie sterben.
Es ist eher ein praktisches Interesse meinerseits, eine wissenschaftliche
Kontrolle. Freilich interessiert es mich auch persönlich. Siehst du, in dieser
Nacht erzählte sie, daß sie dir vor zehn Jahren begegnet sei und daß diese
Begegnung einen solchen Eindruck auf sie gemacht habe, als öffneten sich vor
ihr Himmel und Erde. Diese Begegnung hat sie berührt wie ein Gebot. Man kann
nicht taub an so etwas vorübergehen. Sie glaubte daran und sagte in dieser
Nacht, daß auch du dieses Gebot gehört haben mußtest. Es ist unmöglich, so
etwas nicht zu hören, dieses Gebot dröhnt stärker als Donnerschlag, so taub
kann kein Mensch sein, daß er einfach weitergehen könnte, ohne den Klang
dieses Befehls im Ohr mit sich zu tragen. Eine solche Begegnung geschieht nur
einmal im Leben. Das Leben aber, weißt du, und der andere ... Sie gehen
manchmal weiter.
    Man kann es nicht erklären, niemand
ist schuld daran. Das Leben geht weiter, du heiratest, es folgt der nüchterne
Tag, das, was man ›die Ordnung der Dinge‹ nennt, dann trete ich auf, und von
dem Ereignis bleibt ferne im Bewußtsein nur noch ein trübes Dämmern: die
Stimme eines Mannes und seine Gebärden, wie er sie einmal auf dem Weg längs der Insel
begleitete, ihr den Tennisschläger trug. Das ist sehr wenig. Kommst du ihr
manchmal ›in den Sinn‹? Es ist nicht wahrscheinlich. Einem jungen Mädchen
machen viele den Hof, und du hast Anna nicht einmal den Hof gemacht. Dann kommt
ein anderer Mann, dieser Mann bin ich, und wir lieben einander, wir lieben
einander um jeden Preis. Sie gibt mir alles, nur eben: dich gibt sie nicht her.
Sie weiß nichts davon, spricht nicht darüber, denkt nicht daran. Vielleicht
brennen die Gruben mit einem derart langsamen Rauch wie diese Art von Geheimnis
in der Seele. Und den Erscheinungen des Tages folgen die Träume in
tausendfacher Abwandlung, mit Gesichtern, Gestalten und Begebenheiten. Auch du
bist darunter. Dann ist sie mit mir beisammen, sie ist wach und doch nicht bei
mir. Im Augenblick nämlich, wo sie meint, mit mir beisammen zu sein, neigst du
dich schließlich über sie.«
    »Das ist Wahnsinn«, ruft Christoph
Kömüves, und er will aufspringen. Der Arzt aber hält ihn kalt mit einer
einzigen Geste zurück. »Du siehst, ob dieses Krankheitsbild Wahrheit ist,
kannst nur du entscheiden. Es mag Wahnsinn sein, ein Hirngespinst. Das Wahnbild
einer hysterischen Frau. Wenn ich aber bei dir die zweite Hälfte des Traumes
finde, dann ist es kein Wahnbild mehr. Dann ist es Wirklichkeit, so wirklich
wie die Berge, Flüsse und der Himmel. Dann gibt es wahrhaftig eine andere
Wirklichkeit, in der Begebenheiten stattfinden. Wenn du
antwortest, wenn du eine Antwort geben kannst, dann hat Anna die Wahrheit
gesprochen. Es kostet dich doch nur ein Wort. Wagst du denn nicht, es
auszusprechen? Soll ich es dir erleichtern? Oder kennst du dieses Wort nicht?
Gib Antwort!« sagt er jetzt in ermutigendem Ton und steht auf.
    Es ist, als
wäre er gewachsen, in gebietender und seltsam herausfordernder Haltung steht er
vor Kömüves. »Du kannst es nicht? Ja, ich verstehe, es muß schwer sein ...
Denn dann ist ja alles, was du hier erbaut hast, ein Mißverständnis. Alles –
was da um dich herum schläft und ruht, nicht wahr? Ein Mißverständnis,
gewissermaßen ... So antworte doch!« Er neigt sich dem Richter zu. »Sie hat
bereits geantwortet. Sie wußte es mit solcher Bestimmtheit, daß sie zur Antwort
den Mut hatte. Gegen Morgen, als sie schon alles erzählt hatte, war sie
eingeschlafen. Ich deckte sie zu und setzte mich neben sie. Der Morgen dämmerte
schon, sie schlief tief, manchmal bebte sie ein wenig, ich holte noch ein Tuch
und bedeckte ihre Schultern. Zwei Stunden schlief sie so.
    Dann bemerkte ich es. Der Schaum
begann über ihre Lippen zu treten, ich fand die Ampulle auf dem
Ordinationstisch. Sie hat es in den zehn Minuten eingenommen, als ich Kaffee in
der Küche kochte. Es war vielleicht halb fünf. Das Gift begann nun, in die
Blutbahn überzutreten. Oh, ich kannte Annas Organismus, ich kannte ihn so gut, als wäre ihr Körper der
einzige, den es auf dieser Welt gibt. Ich

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