Sands, Lynsay - HG 128 - Doppelspiel aus Liebe
kam, fiel ihr etwas ein. „Du solltest am besten einen unserer Strümpfe zusammenrollen und ihn morgen früh in deine Kniehose stecken … nur damit der Schneider nichts merkt.“
„Hmm.“ Beth legte ihr Gewand ab. „Es wird nett sein, wenn jede von uns mehr als nur einen einzigen Satz Kleidungsstücke hat.“
„Nun, morgen sehen wir weiter“, meinte Charlie. Für sie gab es nämlich nichts Schlimmeres als Anproben, und bis jetzt war es ihr auch immer gelungen, diesen langweiligen Stunden aus dem Weg zu gehen, in denen an einem herumgefingert und man pausenlos mit Stecknadeln gestochen wurde.
Zu solchen Anproben war sie stets zu spät gekommen und hatte dann behauptet, da Beth und sie dieselben Maße hätten und bei Beth ja schon Maß genommen worden sei, sei es reine Zeitverschwendung, wenn man bei ihr dasselbe noch einmal tue. Dieses Argument hatte nun schon jahrelang bestens gezogen. Im vorliegenden Fall allerdings würde sie ja Elizabeth sein und die Gewandschneiderin leider ertragen müssen. Möglicherweise hatte sie ja auch Glück, und die Anprobe dauerte nicht allzu lange.
Inzwischen hätte Charlie eigentlich merken müssen, dass ihr das Glück nicht eben hold war. War sie nicht mit einem schauerlichen Kerl verlobt, einer Peitschen schwingenden Hexe ausgeliefert und von einer gefallenen Zofe beinahe erschlagen worden? Und das alles in einer einzigen Woche!
Unter diesen Umständen sollte es sie eigentlich auch nicht wundern, dass die Gewandschneiderin an ihr einen ganzen Tag lang Maß nahm, zupfte, schubste und sie mit Stecknadeln traktierte. Als die Frau endlich ihre Stoffe samt Hilfskräften einpackte, um das Haus zu verlassen, und erklärte, ihre Arbeit sei nunmehr beendet, wäre Charlie beinahe vor Erleichterung in Tränen ausgebrochen.
So lästig der ganze Tag auch gewesen war, so hatte er Charlie trotzdem ungemein ermüdet, und sie wollte sich eigentlich zur Ruhe legen, entschied dann jedoch, sich in der Bibliothek bei einem Buch und einer guten Tasse Tee zu entspannen.
Sie bat Bessie, ihr einen Tee zu holen, ging dann gemächlich an den langen Reihen der Bände vorbei, zog ein Buch aus dem Regal, blätterte es eher ziellos durch, stellte es dann wieder zurück und holte sich ein anderes. Sie hielt nicht viel vom Lesen über Dinge, die jemand anders getan hatte, sie tat lieber selbst etwas. Am Ende war sie recht froh, als Bessie kam und ihr den Tee brachte.
Sie setzte sich in den Sessel beim Feuer und sah dem Mädchen beim Tee-Eingießen zu. Bessie trug ein schlichtes graues Gewand, welches wohl schon bessere Tage gesehen hatte, doch sauber und zweckmäßig war. Heute wirkte das Mädchen fröhlicher und sah nicht mehr so aus, als würde im nächsten Moment die Welt untergehen. Die kleine Zofe lächelte Charlie freundlich zu und wandte sich dann zur Tür.
„Hast du dich gut eingelebt?“ erkundigte sich Charlie. Bessie lächelte strahlend. „Oh ja, danke, Miss. Mr. Stokes ist sehr freundlich, und alle anderen sind es auch. Nun ja, vielleicht mit Ausnahme des Kochs. Doch Joan, die Haushälterin, sagte mir, er sei etwas … äh, katzerös … nein, so hieß das nicht.“ Sie zog die Stirn kraus und versuchte es noch einmal. „Kapperzös?“
„Meinst du kapriziös?“ fragte Charlie, und das Gesicht des Mädchens hellte sich sofort auf.
„Ja, genau. Er sei etwas kapriziös, meinte Joan. Doch ich glaube, er ist einfach unausstehlich. Jeder scheint sich vor ihm zu fürchten. Sogar Stokes geht in seiner Nähe nur auf Zehenspitzen, wenn Sie wissen, was ich meine.“ Sie neigte den Kopf zur Seite und dachte nach. „Er ist genau wie Lord Kentleys Diener, wo meine Mum in Woodstock arbeitet. Er benimmt sich so scheußlich, weil er weiß, dass er es darf. Niemand würde es wagen, ihn zu tadeln – außer Lord Kentley selbst, aber bei dem ist der Diener auch nie kapperzös.“
Charlie runzelte ein wenig die Stirn. Sie hatte schon eine ganze Menge Geschimpfe und Geschrei aus der Küche gehört, und zwar immer kurz nachdem Beth und Radcliffe hinausgegangen waren. Oft hatte sie sich gefragt, was das bedeuten sollte. Die Antwort darauf schien auf der Hand zu liegen: Der Koch hatte wieder einmal einen Temperamentsausbruch.
Ob Radcliffe wohl wusste, wie sich sein Koch benahm, wenn er selbst nicht anwesend war? Was der Mann kochte, war bestenfalls annehmbar, doch das rechtfertigte noch lange nicht, dass er die Belegschaft terrorisierte.
Gerade wollte sie sich Bessie gegenüber dazu äußern, da
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