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Sanfter Mond über Usambara

Sanfter Mond über Usambara

Titel: Sanfter Mond über Usambara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Bach
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ein Exemplar für sich aufbewahren.
    Zu Anfang war sie enttäuscht gewesen. Nicht nur, dass viele Bilder verwischt waren, sie zeigten auch niemals das, was sie an einer Landschaft oder einer Situation so fasziniert hatte. Sie brauchte einige Zeit, um zu begreifen, dass sie mit dem Auge des Objektivs sehen musste, das weder Farben noch Bewegungen noch Düfte einfangen konnte. Dafür zeichnete es messerscharfe Konturen, gab Licht und Schatten wieder und konnte mit Grautönen spielen. Oft zeigten die Bilder ihr Details, die sie mit bloßem Auge gar nicht gesehen hatte, was George, der ein begeisterter Zeichner war, zum Schmunzeln brachte.
    » Hättest du dich hingesetzt, um dieses Gebäude zu zeichnen, wären dir all diese Dinge aufgefallen. So nimmt der Apparat dir die Arbeit ab. «
    » Du hast das alles gesehen, als wir davorstanden? «
    » Nun ja, nicht alles. Ich hatte ja auch weder Block noch Stift dabei… «
    Vor allem aber war sie von den Porträtaufnahmen beeindruckt, ja fast erschüttert. Es waren meist Bilder von Einheimischen, die sie zufällig traf und die sie bat, sich von ihr photographieren zu lassen. Wenn sie die Bilder später betrachtete, schien es ihr, als gäben die Aufnahmen unendlich viel von diesen unbekannten Menschen preis. Selbst das, was sie vor aller Welt verborgen halten wollten, ihren Kummer, ihre Leidenschaft, ihre Verzweiflung, ihre Hoffnungen erfasste das gläserne Auge des Objektivs mit erbarmungsloser Präzision.
    Sie überquerte die Inderstraße, zögerte einen Augenblick, ob sie die kleine Werkstatt eines Kesselschmieds aufnehmen sollte, dann war sie plötzlich von einer Gruppe Europäer umgeben, die, ebenfalls mit Kameras ausgerüstet, die gleichen Absichten hegten. Es waren hauptsächlich Deutsche, doch auch einige französische und englische Sätze waren aus dem Stimmengewirr herauszuhören, und da sie wenig Lust hatte, sich unter die Reisegruppe zu mischen, ging sie rasch davon. Natürlich würden sie auf Safari gehen, zumindest die Herren, dieses Vergnügen ließ sich kaum ein wohlhabender Europäer nehmen, der sich eine Reise nach Afrika leistete. Ein Löwe musste es schon sein, vielleicht auch ein Nashorn und ein paar Antilopen– am besten natürlich ein Elefant, auch wenn man für die Abschusslizenz teuer bezahlen musste. Erst als sie schon mehrere Häuser entfernt war, drehte sie sich noch einmal um, nicht in der Absicht, die weiß gekleideten Herrschaften mit den brandneuen Tropenhelmen zu beobachten, sondern weil dort in der Nähe einst ihr alter Laden mit der Wohnung darüber gestanden hatte. Sie dachte daran, wie sie vor nunmehr zwölf Jahren mit ihrem damaligen Ehemann Christian Ohlsen und ihrer kleinen Cousine hier angekommen war und mit viel Ausdauer und Geschick und nicht zuletzt mit der Unterstützung des zwielichtigen Inders Kamal Singh ein florierendes Geschäft aufgebaut und allen Widrigkeiten getrotzt hatte. Bis Kamal Singh des Zollbetrugs überführt worden war. Ach, ihr Laden… Die deutsche Kolonialverwaltung hatte das Haus nach der Beschlagnahmung abreißen lassen. Wie schade, dass sie damals keine Kamera besessen hatte, dann hätte sie jetzt wenigstens noch eine Photographie zur Erinnerung. Ihr Blick streifte die europäische Reisegruppe, und plötzlich stach ihr ein junger Mann ins Auge. Ein schlanker, sehniger Bursche mit halblangem Haar, das unter seinem Tropenhelm hervorquoll und in der Sonne wie Kupfer leuchtete. Als sie sein Gesicht genauer in Augenschein nehmen wollte, drehte er sich abrupt um und zog den Tropenhelm tiefer in die Stirn. Hatte er ihren Blick bemerkt und fühlte sich von ihr belästigt? Oder wendete er sich bloß einem Bekannten zu?
    Wie auch immer– sie war nicht darauf erpicht, Jeremy Brooks wiederzusehen. Vielleicht deshalb, weil sie ihm gegenüber ein schlechtes Gewissen hatte. Allerdings konnte sie sich jetzt damit beruhigen, dass der junge Engländer keinesfalls ganz und gar dem Alkohol verfallen war. Im Gegenteil: Er schien sich wieder gefangen zu haben und verkehrte mit den reichen Schnöseln, die nach Afrika reisten, um dort ihre Dummheit und ihren Hochmut zu Markte zu tragen.
    Plötzlich bot sich ihr ein wundervolles Motiv, als zwei Askari bei einer afrikanischen Fladenverkäuferin stehen blieben und mit lebhaften Gesten einen Preis für die mit Hühnerfleisch gefüllten Pasteten aushandelten, und Jeremy Brooks war vergessen. Hoffentlich war das Bild nicht verwackelt, sie hatte extra den Schlitzverschluss benutzt, der

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