Sanfter Mond über Usambara
den Kopfschmerz einflößte. Er deckte sie zu und saß an ihrem Bettrand, starrte sie wortlos mit verzweifelten Augen an, dann legte er sich neben sie, den Kopf zu ihr gewendet.
» Es ist meine Schuld « , flüsterte er heiser.
» Nein, George « , widersprach sie. » Ich wusste doch, dass du auf einer Plantage nicht leben kannst. «
» Ich bin nicht der Mann, den du verdienst, Charlotte. Ich wünschte nichts mehr, als dir gerecht werden zu können. Aber ich bringe es nicht fertig… «
» Hör auf! «
Sie schwiegen eine Weile, dann streckte sie langsam ihre Hand nach ihm aus. Er fasste sie, vorsichtig, wegen einer Wunde am Handrücken, und streichelte ihre Finger.
» Ich brauche keine Plantage, George. «
» Und ich brauche keine Expeditionsreisen, Charlotte. «
» Nie mehr? «
» Nie mehr, verdammt noch mal! «
Teil III
Juli 1908
Daressalam war eine schillernde, launische Schönheit, malerisch im weißen Sand der Küste ruhend. Der Schauplatz zackiger Paraden vor eintönigen weißen Kolonialgebäuden. Ein brodelndes, kunterbuntes Menschengewimmel zwischen bunten Marktständen. Ein zarter Traum von Palmen und Akazien in den aufsteigenden Morgennebeln. Nie hatte Charlotte diese Stadt so intensiv betrachtet wie jetzt, da sie, vom Jagdfieber gepackt, durch die Straßen lief und nach geeigneten Motiven suchte.
Sie steuerte auf den afrikanischen Markt hinter der Inderstraße zu, wo sie versuchen wollte, eine der schwarzen Marktfrauen samt ihren aufgestapelten Früchten zu photographieren, hielt jedoch in einem schmalen Durchgang zwischen zwei Gebäuden inne und blickte prüfend durch das Objektiv ihrer Drexler & Nagel-Handkamera. Ob das Photo dieses Bild so wiedergeben würde, wie ihre Augen es sahen? In der Gasse saß ein alter Mann auf den Eingangsstufen seines Hauses, neben ihm ein Kissen, auf dem ein Säugling schlief. Nicht weit davon wuchs ein zartes Bäumchen in einem Steintrog und warf filigrane Schatten auf den Lichtstreifen in der Mitte der Gasse. Sie hatte zwölf Platten in ihrer Kamera, zwei davon hatte sie schon für Aufnahmen am Strand verbraucht. Sie konnte es einfach nicht lassen, den Blick zwischen den Palmen hindurch aufs Meer festzuhalten, obgleich die Ergebnisse niemals so wurden, wie sie es sich erhoffte.
Sie bemühte sich, so ruhig wie möglich zu stehen, um das Bild auf keinen Fall zu verwackeln, drehte das verstellbare Objektiv in die günstigste Position und betätigte den Auslöser, der an einem Schnürchen herabhing. Wie einfach das war mit diesem leichten Modell, das nicht mehr als hundertfünfundsiebzig Gramm wog und unter dem Namen Contessa Nr. 1 gerade erst auf den Markt gekommen war! Sie dachte daran, was für ein Aufwand damals im Fotoatelier betrieben wurde, als ihre Eltern sich mit Jonny und ihr ablichten ließen. Ach, wie lange war das her– aber die verblasste Photographie hing immer noch in der Wohnstube der Großmutter unter dem mittlerweile brüchigen Trauerflor.
Wenn sie sich beeilte, konnte sie auf dem Markt noch ein paar gute Bilder machen, es hatte am Morgen geregnet– eine Seltenheit in der Trockenperiode–, da würde ihr der lästige Staub vorerst nicht in die Quere kommen. Sie betätigte den kleinen Hebel, um die Glasplatte zu wechseln. Jetzt hatte sie noch neun Aufnahmen– es war wichtig, sorgsam mit diesem Schatz umzugehen.
Sie hatte George ausgelacht, als er ihr diese Kamera schenkte. » Was soll ich denn damit? « , hatte sie gefragt und im Spaß die Augen verdreht.
» Photographien machen. Du wirst schon sehen, wie viel Freude du dabei haben wirst. «
» Photographien? Ich? «
Er hatte auch das Zubehör aus Deutschland bestellt, richtete eine Dunkelkammer ein und entwickelte die Platten. Beim Licht einer Stofflaterne saß sie neben ihm und starrte in die flache Schale mit Entwicklerflüssigkeit, in der der Photokarton schwamm. Langsam, wie durch Zauberhand, zeichneten sich darauf die Konturen des Bildes ab, zuerst nur schwach, dann immer schärfer, bis endlich die fertige Photographie zu sehen war. George holte sie mit einer Zange aus dem Bad und legte sie in eine andere Flüssigkeit, wo sie fixiert wurde. Danach musste das Bild nur noch trocknen, und man konnte es in die Hand nehmen, herumzeigen, in ein Album oder einen Bilderrahmen stecken. Seit einigen Tagen besaßen sie sogar einen Kopierapparat, mit dem man die Photographie vervielfältigen konnte, so oft man wollte. Sie konnte die Bilder an Klara oder an Ettje nach Leer schicken und trotzdem
Weitere Kostenlose Bücher