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Sanfter Mond über Usambara

Sanfter Mond über Usambara

Titel: Sanfter Mond über Usambara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Bach
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all diese Dinge hatte Ettje niemals kennengelernt.
    » Du wirst staunen, Charlotte « , plapperte sie eben. » Die Großmutter ist immer noch hellwach und lässt sich kein X für ein U vormachen. Paul und seine Frau Antje haben keinen leichten Stand in ihrem Haus! Nur die kleine Fanny, die wird von ihr nach Strich und Faden verwöhnt… «
    Noch blühten einige Apfelbäume in den Gärten, doch die meisten Blütenblättchen lagen schon braun gerändert auf den Beeten und Wiesen verstreut. Windmühlen drehten ihre Flügel, jene scheußlichen Ungetüme, die der kleinen Charlotte in ihrer Kindheit eine solche Furcht eingejagt hatten. Wie unendlich fern war jener verhängnisvolle Tag im Mai, an dem sie mit Paul und Ettje vom Markt gekommen war, stolz die ersparten Pfennige im Schnupftuch eingebunden, um damit vor der Großmutter zu glänzen. An diesem Tag war unvermittelt der Tod in ihr Leben getreten. Es war so lange her, und doch spürte sie auf einmal wieder den Schmerz der Zehnjährigen, die sich beharrlich dagegen gewehrt hatte, an diesen finsteren Gesellen zu glauben, und bis zum Ende des Sommers hoffte, Papa, Mama und der kleine Jonny würden zurückkommen– vergeblich.
    Elisabeth hatte zuerst die Hand ihrer Mutter gefasst, da ihr die neue Verwandtschaft noch reichlich unheimlich war, bald aber lief sie hinter der Schubkarre her, auf der Henrich, Ettjes ältester Sohn, die Koffer und Reisetaschen zur Ulrichstraße beförderte. » Pass doch auf « , wies sie den schwitzenden Knaben an, » da kommt ein Schlagloch. Dass ja der Koffer nicht herunterfällt, da sind nämlich die Geschenke für euch drin. Für jeden etwas– aber wenn du den Koffer von der Karre kippst, bekommst du nichts… «
    Noch auf dem Bahnsteig hatte Tante Ettje ihre Brut der Reihe nach vorgestellt, wobei jeder der Knaben einen Diener hatte machen müssen. Henrich war dünn und sehnig, mit viel zu langen Armen und strackem blassblondem Haar. Er war letztes Jahr konfirmiert worden, schaute sehr ernst drein und schien sich wie ein Erwachsener vorzukommen. Der mittlere Sohn hieß Peter, er war schon fast so groß wie der ältere Bruder, aber sein Haar war rötlich und sein Gesicht voller hellbrauner Sommersprossen. Der Netteste war Jonny, fand Elisabeth, denn er lachte dauernd und schwatzte dummes Zeug, außerdem konnte er auf einem Grashalm blasen, wie es auch die Schwarzen daheim auf der Plantage verstanden.
    » Ach, was für ein Jammer, dass du Klara nicht mitgebracht hast, Charlotte. Ich hätte sie so gern wiedergesehen! Meine kleine Schwester Klara mit dem Humpelbein. Wer hätte damals gedacht, dass sie einmal einen Missionar in Afrika heiraten und Mutter eines Sohnes sein würde… «
    Das Haus der Großmutter war in Charlottes Erinnerung viel größer gewesen. Ganz niedrig erschien es ihr jetzt, der Backstein dunkel, das Dach schon ein wenig eingesunken– hatte sie in diesem Häuschen wirklich so viele Jahre gelebt? Und auch der Großvater, die Großmutter, Tante Fanny, die Cousinen Ettje und Klara, Cousin Paul– all diese Menschen hatten dort Platz gefunden. Dagegen war das Wohnhaus der Plantage am Kilimandscharo mit seinen dicken weißen Mauern, die noch aus den Zeiten der Araber stammten, fast ein Palast.
    » Kommt herein! « , rief Ettje mit einer weit ausholenden Armbewegung und voller Besitzerstolz. » Wir haben Butterkuchen für euch gebacken. Und ihr dürft oben in unserer alten Schlafstube übernachten. Paul und Antje schlafen solange in den Betten der Großeltern, und die Großmutter zieht ins Arbeitszimmer um. Für ein paar Tage geht das schon. «
    Nichts hatte sich verändert!, dachte Charlotte. Die Haustür mit dem Oberlicht war weiß gestrichen, und wie schon damals blätterte in der Mitte, dort, wo der Regen gegen die Tür prasseln konnte, die Farbe ab. Im Flur schlug ihr der Geruch nach feuchtem Holz und Bohnerwachs entgegen, sacht durchzogen von Kuchenduft. Auf der alten Kommode standen ein paar verstaubte Einmachgläser, die man gerade aus dem Keller geholt hatte. Großmutter Grete Dirksen saß in ihrem guten schwarzen Kleid und mit der wohlbekannten Spitzenhaube auf dem Kopf in der guten Stube. Kleiner war sie geworden und viel dünner, durch das einst glatte Gesicht zogen sich unzählige Linien und Fältchen. Ihre Augen schienen tiefer zu liegen, doch sie waren immer noch hell und hatten den wachen Blick der Hausherrin. Pauls Ehefrau mochte hier tatsächlich kein leichtes Leben haben.
    » Die Lotte ist wieder da! « ,

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