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Sanfter Mond über Usambara

Sanfter Mond über Usambara

Titel: Sanfter Mond über Usambara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Bach
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rief die Großmutter und eilte zur Stubentür. » Bei Nacht und Nebel ist sie damals davongelaufen! Hat die arme Klara mitgenommen und Christian, den Nichtsnutz. Aus dem ist wohl nie mehr etwas geworden, auch nicht in Afrika, was? «
    Statt einer Antwort nahm Charlotte die alte Frau in die Arme. Obgleich die Stimme der Großmutter noch kräftig war, fühlte es sich an, als stecke ein leichtes Vöglein unter der dicken Schicht aus Kleidern und Wäsche. Einzig die eiserne Willenskraft schien den Körper der Fünfundachtzigjährigen noch zusammenzuhalten.
    » Lass mich mal deine Deern anschauen, Lotte. Nee– was für ein Blondschopf! Die Augen wie mein seliger Henrich, die gleichen, die dein Vater gehabt hat, Lotte. Das ist ’ne Dirksen, die Deern. Wie heißt sie? Elisabeth? Willst wohl hoch hinaus, wie? Lisa nennt sich das bei uns in Leer! Und jetzt rein mit euch in die Stube. Kaffee haben wir gekocht und Tee von Bünting… «
    Auch die Stube war unverändert. Plüschsofa, Tisch und Sessel standen noch am gleichen Platz, die Vase mit den falschen Palmwedeln und die vielen Nippesfigürchen auf den Fensterbänken. Das weiße Kreuz aus Carrara-Marmor, das ihr Vater, Kapitän Ernst Dirksen, vor über dreißig Jahren aus Südamerika mitgebracht hatte, leuchtete im Licht der Nachmittagssonne. Und sogar die Photographie, auf der die damals zehnjährige Charlotte mit ihren Eltern und dem kleinen Jonny abgelichtet war, hing noch an der Wand. Die Jahre hatten die einst scharfen Konturen verwischt, die Farben in helle Braun- und Gelbtöne verwandelt, der einst schwarze Trauerflor war nun dunkelgrau und brüchig geworden.
    » Mein Klavier… « , flüsterte Charlotte zärtlich und fuhr mit den Fingern über das glatte schwarze Holz des Instruments.
    » Ja « , sagte Ettje, die den Kuchenteller hereintrug, lachend. » Der nutzlose Kasten steht hier immer noch herum. Wie oft haben Paul und ich darum gebeten, das Monstrum endlich verkaufen zu dürfen, denn Onkel Gerhard denkt gar nicht daran, es abholen zu lassen. Aber die Großmutter will es nun einmal nicht hergeben. «
    Onkel Gerhard war der jüngste Sohn des Pastorenehepaars Henrich und Grete Dirksen, und er war, so hatte Charlotte schon als Kind aus ihren Reden schließen können, ein rechter Nichtsnutz. Nichtsdestotrotz hatte er einen Hang zur Musik, mit deren Unterricht er in Hamburg angeblich seinen Lebensunterhalt verdiente. Was aus ihm geworden war, konnte niemand sagen.
    » Eines Tages steht der Gerhard vor der Tür und will sein Klavier haben « , beharrte die alte Frau jedoch dickköpfig. » Und das Klavier, das soll für ihn bleiben. «
    Das Instrument war hoffnungslos verstimmt. Kein Wunder, im Winter wurde die Stube nur am Abend geheizt, tagsüber sparte man gern mit dem Holz und hielt sich in der Küche auf, wo der Herd ja sowieso brannte. Dieser ständige Temperaturwechsel war dem Klavier schlecht bekommen.
    Eine junge Frau schob sich in die Stube, ein schüchternes, leicht vergrämt wirkendes Wesen mit wasserblauen Augen und vollen Lippen. Es war Antje, die Ehefrau von Cousin Paul. Sie zog ihre kleine Tochter Fanny hinter sich her, die mit einem weiten rosa Rüschenkittel und einer gestickten Haube herausgeputzt war. Die Haube verdeckte das dünne hellbraune Haar des Mädchens, das von seiner Mutter gleich eine Maulschelle erhielt, weil es vor Verlegenheit den Daumen in den Mund steckte.
    Wie in alten Zeiten wurden Stühle aus der Küche herbeigetragen, damit alle Gäste an der Kaffeetafel Platz fanden. Früher war das Charlottes Aufgabe gewesen, jetzt taten Ettje und Antje diese Arbeiten. Nichts blieb für Charlotte übrig, nicht einmal den Tee durfte sie einschenken, das übernahm Antje. Sie schob auch Zucker und Sahne herum, während Ettje den Butterkuchen austeilte. Charlotte und Elisabeth waren Gäste hier im Haus der Großmutter, man bewirtete sie, gab ihnen ein Nachtlager, denn sie waren ja Verwandtschaft. Doch zu Hause waren sie hier nicht mehr, andere hatten ihren Platz eingenommen.
    » Schmeckt es dir? « , wollte die Großmutter von Elisabeth wissen.
    Die Sechsjährige thronte auf einem Küchenstuhl, dessen Sitz man durch zwei Federkissen erhöht hatte, so dass sie die gesamte Kaffeetafel überblicken konnte. Charlottes warnendes Stirnrunzeln war unnötig. Elisabeth erklärte, noch nie zuvor so guten Kuchen gegessen zu haben, und auch wenn sie mit vollem Mund sprach, war ihr von nun an die zärtliche Liebe ihrer Urgroßmutter gewiss.
    » Gibt es in

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