Sanssouci
Malkowski hat sich (er schaute auf seine Schwester) dem Gesetz nach strafbar gemacht. Er, nicht wir. Er glaubt, wir hätten ihn in der Hand. Aber wie auch immer, wir denken zuviel darüber nach. Es war nur dieser eine Tag, das heißt diese eine Nacht, in ihr ist vieles, wie soll ich sagen, so konkret geworden, und wir haben es benutzt, wir haben uns alle gegenseitig in die Falle gelockt, und jetzt ist es so, als sei jeder mit dem, was dort geschehen ist, auf eine bestimmte Weise behaftet. Als könne man das alles nicht mehr abwaschen. Ich glaube das auch manchmal. Aber es ist definitiv Unsinn. Übrigens war es notwendig, und wir hatten es genau so gewollt. Ich bin genau derselbe, der ich vorher auch war. Nils: Max Hornung ist tot. Heike: Ach ja, aber das hatdoch gar nichts damit zu tun. Arnold: Ich habe eben gesagt, daß ich nicht will, daß diese Nacht als Zentrum unseres Lebens dasteht, und diesen Vorsatz habe ich gefaßt, als ich am Grab von Max stand, nein, vielmehr, ich habe diesen Vorsatz urplötzlich in einem Gespräch gefaßt, das ich mit jemandem geführt habe, einem russischen Mönch. Dieser Mönch hat mir gefallen. Als ich mit ihm sprach, war es, als legte er mir die Hand auf, es war total beruhigend. Er strahlte so etwas aus, wißt ihr, wie ein Licht in einer dunklen, schummrigen Kammer. Geradeso wie ein Licht vor einem Heiligenbild in einer Kirche.
Die drei Freunde hatten während des Gesprächs die Köpfe immer näher zusammengesteckt. Nun aber schauten sie um sich und merkten, daß die anderen im Hafthorn sie eigenartig ansahen. Arnold schüttelte unmerklich den Kopf und widmete sich wieder dem Gespräch mit Nils und Heike.
Nils: Ich versuche mir oft auszumalen, was wäre, wenn es die Sprache nicht gäbe. Früher habe ich gedacht, das Geld sei so etwas wie die Urschuld der Menschen. Inzwischen glaube ich, vielleicht ist es die Sprache, und das Geld ist vielleicht nur eine Konsequenz aus ihr, eine andere Form für sie, eine entsprachlichte Form von Sprache. Schaut, für Maja wird es diese ganze Geschichte nie geben. Es wird keinen Keller geben, und alles andere auch nicht. Das ist gut so, und so soll es auch bis zum Schluß bleiben.
Maja Pospischil kam jetzt an den Tisch. Mit Nils ging eine merkliche Veränderung vonstatten. Er wurde rot und schwieg.
Maja fragte, wo sie denn die letzten Tage gewesen seien? Heike: Sie seien in Frankfurt am Main gewesen, bei einer Beerdigung. Nils, unter sich schauend: Sie hätten es doch schon längst erzählt. Sie: Ja, genau, sie hätten es erzählt. Sie hätten aber nicht erzählt, wieso er nicht mitgefahren sei. Nils: Wieso hätte ich denn mitfahren sollen? Maja sagte, sie könne diese Geheimniskrämerei langsam nicht mehr ertragen. Hier sei neuerdings alles vergiftet, sie möchte gern einmal wissen, warum eigentlich. Arnold starrte sie an. Heike zündete sich eine Zigarette an und blickte zur Decke. Kann es sein, fragte sie, daß du auf alles das ein wenig neidisch bist? Wenn du mir jetzt auch noch sagst, was alles das meint, entgegnete Maja, dann könnte ich dir vielleicht eine Antwort geben. Heike schwieg. Nils wurde zusehends verschämter. Die kürbisfarbene Maja: Ich dachte, wir wären Freunde. Ehrlich gesagt, ihr nehmt mich offenbar nicht mehr ernst. Warum? Was entfernt mich denn so von euch? Was ist so anders an mir? Nils, der noch immer unter sich schaute, rief, das sei doch Mist, was sie da rede. Dann blickte er plötzlich auf, seine Augen sahen fast triumphierend aus. Mist, sage er, es sei Mist. Sie: Dann redet ihr aber auch Mist. Entschuldigung. Sie stand auf und verließ den Tisch. Nils war krebsrot. Blöde Kuh, sagte er.
Heike und Arnold nahmen erstaunt zur Kenntnis, daß Nils Ebert offenbar seit neuestem bis über beide Ohren in Maja Pospischil verliebt war.
Hornungs Haus
Die drei Freunde blieben nicht mehr lange im Hafthorn. Gegen Viertel vor neun verließen sie das Lokal und liefen noch eine Weile gemeinsam durch die Straßen. Vor dem Park von Sanssouci trennten sie sich. Nils, der kaum noch ein Wort gesagt, sondern nur vor sich hin gestarrt hatte, ging nach links, die beiden Zwillinge nach Westen in die Gregoriusstraße. Der Himmel war noch nicht ganz dunkel, es herrschte nach wie vor Leben in der Straße, einige Potsdamer saßen in ihren Gärten, grillten und tranken Bier. Manche trugen Unterhemden. Auf einem Treppenabsatz saß ein verwahrloster Mann, ebenfalls mit Unterhemd und Bierflasche, der alte Baron. Er schaute den Zwillingen mürrisch
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