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Sanssouci

Sanssouci

Titel: Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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gekommen, daß sich Malkowski weniger für Heike als für ihren Bruder interessiert hatte. Dann hatte also gar nicht sie, das dürre Mädchen in Schwarz, den Lockvogel gespielt, sondern ihr Bruder. Das mußte wohl außergewöhnlich rabiat vonstatten gegangen sein, denn einmal, als Arnold mit einer Bierflasche im Paradiesgärtlein am Luisenbrunnen herumgesessen und in der Mittagshitze sein Hemd ausgezogen hatte, direkt neben Hofmann und dem alten Vertriebenen, hatte der Baron dem Russen geraten, er möge sich den Jungen mal genauer betrachten. Arnold hatte da gewisse Narben, überdies waren seine Brustwarzen nicht mehr da. Das waren ja Schlächtermethoden! sagte sich Hofmann. Das, was Hofmann in den letzten Tagen in den unterirdischen Gängen unter dem Park gefunden hatte, war eigentlich nur eine Fortführung dessen, was sie oberirdisch in ihren Gartenhütten und andernorts ohnehin schon lebten. Er hatte ein ganzes Laboratorium der Lust entdeckt. Dunkel und staubig wie ein Rattenloch, so machte es ihnen Spaß. Als Fleischbündel an einen Haken gehängt mit den diversen Instrumenten und Maschinen erwünschte Behandlungen erfahren oder den anderen als Fleischbündel an den Haken hängen und ihm ebenjene Behandlungen angedeihen lassen, das hatte etwas von Doktorspielen der sehr fortgeschrittenen Art. Hofmann quittierte das nur nochmit einem Achselzucken. Er glaubte felsenfest daran, daß die beiden Zwillinge im Innersten ihres Wesens Soldaten waren und sich alles von dorther erklären ließ, daß sie also irgend etwas ganz anderes im Sinn hatten und Malkowski für alles noch bluten lassen würden. Vorausgesetzt, es ging überhaupt um Malkowski. Es mußte einen Grund haben, wenn der Junge seine Unversehrtheit auf dem Altar von Malkowskis privater, unterirdischer Lebensgestaltung geopfert hatte. Es gab Menschen, die ihre Körper zum Kampfinstrument machen konnten. Die gab es hier wohl schon mit siebzehn, in Potsdam, der schönen Stadt in Brandenburg, in der heute die Sonne brannte, daß man genausogut auch hätte tot umfallen können.
    Sanssouci mied der Russe inzwischen. Seiner Tochter hatte er geraten, dieses Terrain weiträumig zu umgehen. Jetzt hatte laut dem Baron seit einigen Tagen Bruder Alexej die beiden Zwillinge in der Mangel und versuchte sie zum Reden zu bringen. Die Zwillinge hatten den Mönch mit Grigorij und dem Rattenloch vor ein Rätsel gestellt. Es schien sich hier alles auf das unterirdische Sanssouci zu konzentrieren … offenbar verkehrte die ganze Welt dort. Nur der Mönch und Mai hatten den Abstieg noch nicht unternommen. Bruder Alexej war seit Tagen in Aufruhr und suchte nach einem Zusammenhang. Aber, hehe, sagte der alte Baron, aus den Zwillingen kriegt der Mönch nix raus. Gar nix, hehe. Die sind zu schlau für den.
    Um sich herum konnten sie die Hornungplakate betrachten. Das Filmmuseum lud zu den »frühen Filmen« ein, die Hornung für verschiedene Sendeanstalten gemacht hatte, kleine Dokumentarfilme und Berichterstattungen.Auch die Kotz-Theaterlaientruppe lud wieder ein, diesmal zu einem Diskussionsabend, bei dem, wie es hieß, »jeder einen Hornungtext vorlesen« konnte. So versuchten sie das Problem mit den Aufführungsrechten zu umgehen. In Teilen der Bevölkerung verstand man Hornung immer mehr als Widerstandssymbol gegen die Stadtverwaltung. Die Stadt war wie am Beginn eines Fiebers. Inzwischen hatte die Auseinandersetzung mit dem Verstorbenen Züge von Starrummel bekommen. Auch das war Bestandteil des Amselkonzerts dort am Brunnen: Hornung und die Stadt. Sogar Finsterklappe sprach hier und da über den verunglückten Westdeutschen.
    Schließlich wurde Hornung auch überregional zum Thema. Ein Spiegelreporter drückte sich in der Stadt herum auf der Suche nach Verwertbarem.
    Zeitungsblätter und Magazine haben nicht den langen Atem wie Amseln oder die Männer am Luisenbrunnen. Diese blieben durch Wahrheit oder Unwahrheit völlig unangefochten, weil es beides für sie nicht mehr gab oder nie gegeben hatte. Wahrheit fand für sie nur am Luisenbrunnen statt, und auch darin hätten sie wieder alles Jesuanische auf ihrer Seite gehabt, hätten sie je argumentiert. Aber das taten sie nicht. Sie redeten (sangen), aber argumentierten nicht. Das Paradies ist voller Geschichten, die jeder über jeden erzählt und in denen es weder Wahrheit noch Unwahrheit gibt, sondern alles zusammen wahr ist … und die Vögel sendet uns der Himmel als Zeichen dafür, daß wir so sein sollen … der einarmige

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