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Sanssouci

Sanssouci

Titel: Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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welche Geschichte erzählt werden wird. Welche Zusammenstellung der Motive klingt am spektakulärsten?
    Der OB: Und? Welche?
    Frau Kupski: Potsdamer Künstler läßt Kind durch Stadt finanzieren.
    Der OB: Wie denn das?
    Kupski: … indem er sich über die Stadt lustig macht.
    Der OB: Oje. Oje, ich beginne zu verstehen.
    Kupski: Ich vermute sogar, daß er damals nur deshalb nach Potsdam gekommen ist. Und daß die Serie von Anfang an dafür erfunden war, das Geld für die Frau zusammenzubekommen.
    Der OB: Um diesen Mai zu entlasten?
    Sie: Könnte man sagen.
    Der OB: Das macht doch kein vernünftiger Mensch! Das ist doch keine Oststadtfolge hier!
    Die Kupski: Tja. Wer weiß das?
    Der Magistratsvorsitzende: Als mein zweitältester Sohn Vater wurde, hat die Mutter in der Stunde, bevor sie zur Klinik gefahren ist, die Schlösser ausgetauscht, alle Rechtsanwälte haben anschließend meinem Sohn gesagt, vergessen Sie Ihr Kind, das wird das beste sein. Da hat man keine Chance. Wenn es eine Furie ist … dem Staat ist das ja egal … wenn es eine Furie ist, dann macht sie den Dr. Mai finanziell kaputt, und sein Kind existiert für ihn erst in achtzehn Jahren – so lange wird es ihm nämlich vorenthalten … übrigens von Rechts wegen. Mein Sohn nennt das staatlich angeordnete Geiselnahme. Und am Ende heißt es, er habe sich nicht für sein Kind interessiert. Jetzt sitzt er beim Psychotherapeuten und spricht kein Wort mehr über die Sache. Herr Dr. Mai erlebt vermutlich das gleiche. Der sagt zu dem Ganzen nämlich auch kein Wort. Vollkommene Blockade. Und Hornung wollte ihn rausholen.
    Die Kupski: So? Vielleicht ist Mai aber damals auch nur über alle Berge, und Hornung sprang deshalb ein. Wie können Sie eine möglicherweise in großen Nöten alleingelassene Frau eine Furie nennen?
    Der Magistratsvorsitzende: Da kann man sich ja vorstellen, wie dieses Einspringen ausgesehen hat. Und die Nöte, wie die ausgesehen haben, kann man sich auch vorstellen. Frau Dr. Kupski, es ist eine erwieseneTatsache, daß Vermögen heute über den Nachwuchs verteilt wird. Das heißt, kurzum, bei den Frauen landet.
    Die Kupski: Ich nenne das Sozialgesetzgebung.
    Der OB: Wir erleiden also Oststadt wegen dieses Kindes?
    Kupski: Das heißt, wegen Dr. Mai.
    Der Magistratsvorsitzende: Also wegen dieser Frau.
    Die Kupski: Das sind alles Theorien.
    Meckel (der längere Zeit nichts mehr gesagt hatte): Das habe ich jetzt nicht verstanden.

III
Luisenbrunnen
    Herr Ludwig Hofmann war nur noch selten zu Hause. Er strebte immer mehr dorthin, wohin niemand strebte, der noch bei Sinnen war und sich gesellschaftlich nicht völlig verabschiedet hatte. Immer öfter tat Ludwig Hofmann den Sehnsuchtssprung hin zu denen, die draußen in der Stadt herumsaßen und Bier tranken. Anfänglich war es ihm wie ein Wagnis vorgekommen. Neuerdings schien es ihm das Leichteste von allem … man mußte es nur tun, und dann war für eine Weile alles ganz einfach.
    Er war jetzt, zumindest zu gewissen Stunden des Tages, nicht mehr von denen zu unterscheiden, die ihm in dieser Stadt als die einzige verbliebene Wahrheit erschienen, die Bettler, die Säufer und die Obdachlosen. Deren letzter übriggebliebener ökonomischer Akt im Kauf von Bier bestand. Ansonsten hatten sie sich aus derlei Zusammenhängen, mit denen die anderen ihren Staat machten, völlig verabschiedet. Sie, die wieder wie die Kinder wurden oder vielleicht immer so geblieben waren, und die das Bier ernährte, obgleich sie nichts dafür gesät und auch nichts geerntet hatten. Die niemals einen Krieg machten und andererseits auch das Krankenhaus und die Sozialkasse vollkommen verweigerten und damit alle Argumente, die Jesus Christus jemals im Mund geführt hatte, auf ihrer Seite hatten. Herr Hofmann dachte neuerdings gern über so etwas nach: man mußte nur aufgeben . Das konnte es geben: ein Leben ohne Zivilisation mitten in derZivilisation. Für ihn ähnelten die Biertrinker vom Luisenbrunnen den unschuldigen Tieren, die aus dem Paradies stammten und es nie verlassen hatten. In ihnen war etwas rein Reflexhaftes, das an Menschen kaum erinnerte, vor allem, weil es nichts von dem wollte, was Menschen gemeinhin wollen. Und vor allem wollte es keine Fürsorge. Weil ja alles da war.
    Freilich kam Herr Hofmann zum Schlafen noch in seine Garage. Sein Sohn schrie unvermindert. Er schrie, als ginge es um sein Leben. Zum Essen erschien Hofmann auch fast immer. Meistens war er nicht betrunken, sondern bloß angetrunken.

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