Sara Linton 01 - Tote Augen
Erwachsenengefängnis stecken, aber er war doch noch ein Kind, und die Seelenklempner zeterten, dass er unbedingt Hilfe brauche. Tom konnte jünger aussehen, wenn er wollte – sehr viel jünger, als er tatsächlich war. Verwirrt, als könne er gar nicht verstehen, warum die Leute all das Schlechte über ihn sagten.«
» Wie entschieden die Gerichte?«
» Es wurde irgendwas diagnostiziert. Ich weiß auch nicht. Wahrscheinlich, dass er ein Psychopath war.«
» Wir haben seine Air-Force-Unterlagen. Haben Sie gewusst, dass er gedient hat?« Pauline schüttelte den Kopf, und Faith sagte: » Sechs Jahre. Er wurde in Ehren entlassen.«
» Was soll das heißen?«
» Man muss da zwischen den Zeilen lesen. Ich vermute, die Air Force wollte seine Störung nicht behandeln, oder sie wusste nicht, wie, deshalb boten sie ihm eine ehrenvolle Entlassung an, und er akzeptierte.« Tom Coldfields militärische Unterlagen waren in einer Art truppeninternem Code geschrieben, den nur erfahrene Veteranen verstehen konnten. Als Arzt hatte Faiths Bruder Zeke alle Signale erkannt. Der letzte Sargnagel war die Tatsache, dass Tom als Reservist nie zum Dienst in den Irak eingezogen worden war, obwohl in der heißen Phase des Krieges Einberufungsstandards so gut wie nicht mehr existierten.
Will fragte: » Was passierte mit Tom in Oregon?«
Pauline drückte sich sehr maßvoll aus. » Er sollte eigentlich in die staatliche Klinik kommen, aber Mom redete mit dem Richter und meinte, wir hätten Familie weiter im Osten und könnten ihn dort in ein Krankenhaus stecken, sodass er Menschen nahe sein könnte, die ihn liebten. Der Richter war einverstanden. Ich schätze, die waren alle einfach froh, uns los zu sein. Fast so wie in der Air Force, nicht? Aus den Augen, aus dem Sinn.«
» Brachte Ihre Mutter ihn in eine Klinik?«
» Wo denken Sie hin?« Sie lachte. » Natürlich nicht. Meine Mutter machte die gleiche Scheiße noch einmal. Sie sagte, Alexandra und ich hätten gelogen, dass wir davongerannt und von einem Fremden misshandelt worden wären und dass wir versuchen würden, es Tom anzuhängen, weil wir ihn hassten und wollten, dass die Leute Mitleid mit uns haben.«
Faith spürte Übelkeit in der Magengrube und fragte sich, wie eine Mutter so blind sein konnte für das Leiden ihres Kindes.
Will fragte: » War das der Zeitpunkt, als Ihre Familie ihren Namen in Coldfield änderte?«
» Nach dem, was mit Tom passiert war, änderten wir den Namen in Seward. Es war nicht einfach. Es waren Konten umzuschreiben und alle möglichen Dokumente einzureichen, um alles legal zu machen. Mein Dad fing an, Fragen zu stellen. Er war nicht gerade glücklich, weil er jetzt tatsächlich etwas tun musste, wissen Sie. Ins Gerichtsgebäude gehen, sich Kopien der Geburtsurkunden besorgen, Formulare ausfüllen. Sie waren gerade mitten bei der Namensänderung, als ich davonlief. Ich schätze, sie änderten den Namen wieder zurück in Coldfield, als sie Michigan verließen. Es war ja nicht so, dass Oregon Tom im Auge behielt. Was sie anging, war dieser Fall abgeschlossen.«
» Haben Sie von Alexandra McGhee je wieder was gehört?«
» Sie brachte sich um.« Paulines Stimme war so kalt, dass Faith ein Schauer über den Rücken lief. » Ich schätze, sie hielt es einfach nicht mehr aus. Einige Frauen sind eben so.«
Will fragte: » Sind Sie sicher, dass Ihr Vater nicht wusste, was los war?«
» Er wollte es nicht wissen«, antwortete Pauline. Bestätigen konnte man das allerdings nicht mehr. Henry Coldfield hatte einen massiven Herzinfarkt erlitten, als er hörte, was mit seiner Frau und seinem Sohn passiert war. Er war noch auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben.
Will ließ jedoch nicht locker. » Ihrem Vater fiel nie auf …«
» Er war die ganze Zeit unterwegs. Er war wochenlang weg, manchmal sogar einen ganzen Monat. Und auch wenn er zu Hause war, war er nie wirklich da. Er flog seine Maschine oder ging auf die Jagd oder spielte Golf oder tat einfach, was er gerade tun wollte.« Pauline wurde mit jedem Wort wütender. » Sie hatten so eine Art Abmachung, wissen Sie? Sie kümmerte sich um das Haus, bat ihn nie um Mithilfe, und er konnte tun und lassen, was er wollte, solange er nur seinen Gehaltsscheck ablieferte und keine Fragen stellte. Schönes Leben, was?«
» Hat Ihr Vater Ihnen je was getan?«
» Nein. Er war nie da, um mir was zu tun. Wir sahen ihn an Weihnachten und Ostern. Das war’s so ziemlich.«
» Warum Ostern?«
» Das weiß ich nicht. Es
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