Sara Linton 01 - Tote Augen
Matthias Thomas Coldfield Bundesstaatengrenzen überschritten, war er jetzt das Problem des FBI . Faith durfte Pauline nur deshalb befragen, weil man glaubte, die beiden Frauen würde etwas verbinden. Das war allerdings ein großer Irrtum gewesen.
Oder vielleicht auch nicht.
Pauline fragte: » Wie weit sind Sie?«
» Zehnte Woche«, antwortete Faith. Sie war dem Wahnsinn nahe gewesen, als die Sanitäter in Tom Coldfields Haus eintrafen. Sie konnte an nichts anderes als an ihr Baby denken, ob es noch sicher war oder nicht. Auch als bereits sein Herzschlag aus dem Fötalmonitor drang, hatte sie weitergeschluchzt und die Sanitäter angefleht, sie ins Krankenhaus zu bringen. Sie war sich ganz sicher, dass sich alle irrten, dass etwas Schreckliches passiert war. Merkwürdigerweise war der einzige Mensch, der sie vom Gegenteil überzeugen konnte, Sara Linton gewesen.
Ein Pluspunkt war allerdings, dass jetzt ihre ganze Familie über ihre Schwangerschaft Bescheid wusste, dank der Schwestern im Grady, die Faith während ihres Aufenthalts in der Notaufnahme nur die » hysterische, schwangere Polizistin« nannten.
Pauline strich Felix über die Haare. » Ich wurde so fett, als ich mit ihm schwanger war. Es war abstoßend.«
» Es ist schwer«, gab Faith zu. » Aber das ist es wert.«
» Wahrscheinlich.« Sie strich mit ihren aufgerissenen Lippen über den Kopf ihres Sohns. » Er ist das einzig Gute an mir.«
Faith hatte dasselbe oft über Jeremy gesagt, aber jetzt, da sie Pauline McGhee gegenübersaß, wusste sie, was für ein Glück sie hatte. Faith hatte eine Mutter, die sie trotz all ihrer Fehler liebte. Sie hatte Zeke, auch wenn er nach Deutschland gezogen war, um von ihr wegzukommen. Sie hatte Will, und, im Guten wie im Schlechten, sie hatte Amanda. Pauline hatte niemanden – nur einen kleinen Jungen, der sie verzweifelt brauchte.
Pauline sagte: » Als ich Felix bekam, musste ich oft an sie denken. Judith. Wie konnte sie mich so sehr hassen?« Sie schaute Faith an und erwartete eine Antwort.
Faith erwiderte: » Ich weiß es nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Mutter ihr eigenes Kind hasst oder auch nur irgendein Kind.«
» Na ja, einige Kinder nerven einfach, aber das eigene Kind …«
Pauline schwieg lange, sodass Faith schon glaubte, sie seien wieder ganz am Anfang.
Da meldete sich Will. » Wir müssen wissen, warum das alles passiert ist, Pauline. Ich muss es wissen.«
Sie starrte zum Fenster hinaus, den Sohn dicht am Herzen. Sie sprach so leise, dass Faith sich anstrengen musste, um sie zu verstehen. » Mein Onkel vergewaltigte mich.«
Faith und Will schwiegen beide, um der Frau Freiraum zu geben.
Pauline vertraute sich ihnen an: » Ich war drei Jahre alt, dann vier, dann fast fünf. Schließlich erzählte ich meiner Großmutter, was passierte. Ich dachte, die Schlampe würde mich retten, aber sie drehte es so, als wäre ich ein Kind des Teufels.« Ihre Lippen verzogen sich zu einem bitteren Grinsen. » Meine Mutter glaubte ihnen, nicht mir. Sie schlug sich auf deren Seite. Wie immer.«
» Was ist danach passiert?«
» Wir zogen weg. Wir zogen jedes Mal um, wenn was Schlimmes passierte. Mein Dad beantragte bei der Arbeit eine Versetzung, wir verkauften das Haus und fingen noch einmal ganz von vorn an. Andere Stadt, andere Schule, dieselbe Scheißsituation.«
Will fragte: » Wann wurde es mit Tom schlimm?«
» Ich war fünfzehn.« Pauline zuckte wieder die Achseln. » Ich hatte diese Freundin, Alexandra McGhee – daher der Name, den ich bei der Änderung benutzte. Wir lebten ein paar Jahre in Oregon, bevor wir nach Ann Arbor zogen. Zu der Zeit fing es wirklich an mit Tom – wurde alles wirklich schlimm.« Ihre Stimme veränderte sich, jetzt klang es wie eine teilnahmslose Erzählung, als würde sie aus zweiter Hand etwas Alltägliches berichten und nicht die entsetzlichsten Augenblicke ihres Lebens offenbaren. » Er war besessen von mir. Als wäre er in mich verliebt. Er folgte mir überallhin, er roch an meinen Kleidern und versuchte, meine Haare zu berühren und …«
Faith versuchte, ihren Abscheu zu verbergen, aber ihr Magen zog sich zusammen bei dem Bild, das die Worte der Frau heraufbeschworen.
Pauline fuhr fort: » Plötzlich hörte Alexandra auf, zu mir zu kommen. Wir waren die besten Freundinnen. Ich wollte wissen, ob ich etwas gesagt oder etwas getan hatte …« Sie ließ den Satz unbeendet. » Tom tat ihr weh. Ich wusste nicht, wie. Zumindest wusste ich es am Anfang nicht.
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